Sie ist eine kämpferische Regisseurin. Eine, die es sich nicht leicht macht, die schwierige Themen aufgreift, weil es sonst keiner tut. Wie jetzt mit „Nur eine Frau“. Sherry Hormann hat den Mordfall Hatun Sürücü in Berlin 2005 verfilmt, durch den damals eine bundesweite Debatte über sogenannte „Ehrenmorde“ entbrannte. Aber sie hat keinen Kriminalfilm daraus gemacht, auch kein Gerichtsdrama. Sie lässt die Ermordete selbst sprechen und zeigt die Geschichte aus deren Sicht. Um dieser jungen Frau eine Stimme zu geben. Sherry Hormann war klar, dass sie mit einem solchen Film auch auf Gegenwehr stoßen könnte. Sie musste ihn dennoch machen. Wir haben die Filmemacherin getroffen.
Berliner Morgenpost: Frau Hormann, Sie haben „Wüstenblume“ gedreht, „3096 Tage“, jetzt „Nur eine Frau“, lauter Filme über unterdrückte, gedemütigte, missbrauchte Frauen. Warum treiben Sie solche Themen nach wahren Begebenheiten immer wieder um? Weil es sonst keiner macht? Und weil es einer machen muss?
Sherry Hormann: Weil mich das so traurig macht. Und weil ich mir so sehr wünsche, dass wir anders hinschauen. Wir können uns nicht immer nur abgrenzen und sagen: Das hat mit mir nichts zu tun. Ich glaube, das ist es, was mich hauptsächlich antreibt. Michael (Michael Ballhaus, ihr Mann, der vor zwei Jahren starb, die Red.) hat mich auch mal gefragt, ob ich nicht mal was Fröhlicheres erzählen kann. Aber dann hat er selbst immer wieder gesagt: Das musst du schon noch erzählen!
„Nur eine Frau“ handelt von der Ermordung der Deutschtürkin Hatun Aynur Sürücü 2005. Mit diesem Mord ist das Thema „Ehrenmord“ bundesweit diskutiert worden.
Ich möchte dieser Frau eine Stimme geben. Die wir nie wieder hören werden, weil sie ausgelöscht wurde. Das Thema wird ja immer virulenter. Dass wir diese Unwörter „Ehrenmord“ und „Parallelgesellschaften“ wie selbstverständlich benutzen, ohne sie zu hinterfragen, finde ich unfassbar. Das regt mich wahnsinnig auf. Es ist keine Ehre, zu morden. Und es darf auch keine Parallelgesellschaften geben. Gebt nicht all den rechten Parteien das Recht, das zu behaupten! Wir müssen da aktiv werden, wir haben da eine Verpflichtung, als Künstler, als Bürger. Wir sind ja eine der letzten Demokratien.
Feo Aladag hat bereits 2010 in Anlehnung daran ihren Film „Die Fremde“ gedreht. Warum, verzeihen Sie mir die Frage, jetzt noch einen Film? Und so spät?
„Die Fremde“ war ein starker Film, den ich sehr schätze. Da hat man auch Angst, ob man etwas Gleichwertiges schafft. Der Film basierte aber nur auf dem Stoff. Wir haben uns des realen Falls angenommen. Da muss man auch mehr in die Verantwortung gehen. Wir haben die Gerichtsakten studiert, haben uns mit den Zeitzeugen auseinandergesetzt. Der Gerichtsprozess zog sich ja auch noch lange hin. Deshalb hat das so lange gedauert. Der Hauptunterschied ist aber wohl der: Wir sagen nicht, du bist die Fremde, mit der wir nichts zu tun haben. Im Gegenteil: Wir zeigen Aynur als eine von uns. Wir wollen, dass jüngere Zuschauer sich mit ihr identifizieren.
Was den Film ausmacht: dass die Ermordete selbst ihre Geschichte erzählt. Als Tote, wie in Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“. Und damit auch alles kommentieren kann …
… und politisch inkorrekt sein darf und muss!
War von Anfang an klar, wenn, dann müssen Sie das so erzählen?
Ja. Wir wollten keine Dokumentation machen. Kein Gerichtsdrama und keinen Betroffenheitsfilm. Wir wollten von Menschen erzählen. Sonst wird immer nur von den Tätern erzählt, wir erzählen jetzt von einer Frau, die eigentlich das Opfer ist, die sich aber nie als solches gesehen hat. Wir wissen alle, dass sie ermordet wurde. Also dachten wir: Fangen wir doch gleich damit an. Und lassen wir dann sie ihre Geschichte erzählen. Wofür wir dann auch eine ganz eigene, innovative und sehr lebendige Filmsprache entwickelt haben.
Grandios ist Almila Bagriacik in der Hauptrolle. Wie kamen Sie auf sie? Man kennt sie aus den neuen Kieler „Tatorten“. Aber als Sie gecastet haben, gab es die Folgen wohl noch nicht?
Die wurden da gerade gedreht. Wir waren uns einig, es muss jemand sein, der absolut authentisch ist. Almila kam wegen eines Nachtdrehs völlig übermüdet ins Casting. Aber dann spielte sie vor, und es war, als fiele eine Schale von ihr ab, sie schlüpfte sofort in eine uneitle, natürliche Rolle. Und Aynurs Stimme floss durch diese junge Frau einfach hindurch. Natürlich haben wir später in der Maske noch eine gewisse Ähnlichkeit herzustellen versucht, aber ich hatte das Gefühl, sie hatte zu dieser Person sofort einen ganz persönlichen Draht. Almila wird über die Grenzen hinaus ihren Weg machen, sie ist ein Bollwerk.
Sie haben teils wirklich in den Kiezen gedreht, in denen das alles passiert ist. War das schwierig, fühlte man sich da auch beobachtet?
Klar wurden wir beobachtet. Aber das war auch ganz bewegend. In dem Block, in dem Aynur gelebt hat, sind Leute aus ihren Wohnungen gekommen und haben sich erinnert, haben uns ihre Eindrücke geschildert und geweint.
Gab es auch Widerstand?
Wir haben sehr bewusst unterm Radar gedreht. Und wurden von türkischer Security begleitet. Da war anfangs eine große Distanz, dass ich da als Deutsche, als Frau einen Film gedreht habe. Aber am Ende waren die beseelt. Weil es im Film nicht nur um die Muslime geht, die diese strengen Werte verfolgen, weil es einen differenzierten Blick auf diese Geschichte gab. Und plötzlich haben alle diskutiert, das war sehr interessant.
Legt man so einen Film eigentlich auch Anwälten vor? Um auf Nummer Sicher zu gehen?
Ja, unbedingt. Der Film ist rauf und runter gecheckt worden. Wir haben auch viele Namen verändert, auch aus Respekt vor denen, die für Aynur ausgesagt haben und deshalb bis heute im Zeugenschutzstand leben. Die Dialoge basieren auf den Gerichtsakten. Dass z.B. Aynur gesagt hat: „Ich ficke, wen ich will“, ist eine Aussage des Bruders vor Gericht. Wir haben das alles vorab rechtlich abgesichert, das war unser Fundament.
Der Film endet nicht, wie er beginnt, mit dem Mord. War Ihnen das wichtig, dass es am Ende trotz des erdschweren Themas auch etwas Hoffnung auf Gerechtigkeit gibt?
Uns war vor allem wichtig, nicht mit einer Statistik zu enden, wie viele sogenannte Ehrenmorde es schon gab oder wie viele Deutschtürkinnen zwangsverheiratet werden. Wir wollten mit einer Liebeserklärung enden. Wir wollten trotz all der Dunkelheit auch etwas Licht am Ende zeigen. Und wenn es uns gelingt, dass ein paar Menschen, inklusive ihr Sohn, diesen Film schauen und sehen, wie sehr diese Frau ihren Sohn geliebt und für ihr freies Leben gekämpft hat, dann ist uns doch was gelungen.
Warum ist der Film eigentlich nicht auf der Berlinale gelaufen? Hätte er nicht zwingend dahin gehört?
Das ist ein Film, der uns alle angeht. Und er spielt in unserer Stadt. Ich hätte ihn gern auf dem Festival dieser Stadt gezeigt. Aber die Berlinale wollte den Film nicht, ich weiß nicht, warum. Jetzt gehen wir damit halt ins Ausland, auf das Tribeca-Festival in New York. Die wollten den Film unbedingt, da war eine Leidenschaft. Also zeige ich ihn doch dort, wo es eine Leidenschaft dafür gibt.
Wenn man so einen Film dreht, muss man sich da eigentlich auch darauf einstellen, dass es von gewisser Seite Hassmails, Shitstorms, womöglich gar Drohungen gibt? Und wenn ja, sind Sie dagegen gewappnet?
Das kommt. Ich bin dagegen aber nicht gewappnet. Wenn man in solche Stoffe reingeht, wird man sehr dünnhäutig. Ich drehe aber schon den nächsten Film, „Das alte Land“. Im Grunde genommen auch ein sehr politischer Film, aber das absolute Kontrastprogramm. Das ist vielleicht das beste Mittel, um auf andere Gedanken zu kommen.