1974 buchte die Künstlerin Lynda Benglis eine Werbeseite der Zeitschrift Artforum und posierte dort auf einer Pseudo-Anzeige als Pin-Up mit Latexpenis. Ein Skandal! Aber für sie ein Mittel, die klassische Rollenverteilung im männlich dominierten Kunstbetrieb radikal in Frage zu stellen. Provokation und Schock waren vor allem in den 60er- und 70er-Jahren die Strategien, mit denen Künstlerinnen Konventionen durchbrachen, Rollenmodelle hinterfragten und um ihre Wahrnehmung in der Branche kämpften.
„Eine Herzensangelegenheit“
Mit der #MeToo-Debatte sind solche gesellschaftlichen Verwerfungen wieder auf der Tagesordnung gelandet. Für Nina Pohl, künstlerische Leiterin des Schinkel Pavillons, ein Grund, sich ihnen in der Schau „Straying from the Line“ anzunehmen: „Diese Ausstellung war für mich eine Herzensangelegenheit, zumal das Thema wieder von aktueller Brisanz ist.“ Mit 56 Arbeiten von 48 Künstlerinnen und Künstlern zeigt der Schinkel Pavillon 100 Jahre feministische Tendenzen in der Kunst.
Wenn Frauen lümmeln
Die frühesten Arbeiten sind von Claude Cahun und Gabriele Münter. Cahun, geboren als Lucy Schwob, erprobte in ihren fotografischen Selbstinszenierungen bereits 1927 unterschiedliche Geschlechterrollen. Von Gabriele Münter, sind zwei undatierte Zeichnungen zu sehen, die eine zeigt Sylvia von Harden, bekannte Journalistin im Berlin der 20er-Jahre, mit Monokel im intimen Zwiegespräch mit einer anderen Frau, die andere eine Frau, die sich gegen alle Regeln „weiblicher“ Schicklichkeit breitbeinig in einen Sessel lümmelt.
Falsches Beispiel
Die 60er- und 70er-Jahre sind die Hochzeit der feministischen Kunst. Hier eroberten Künstlerinnen neu entstehende Medien wie die Performance und Body Art und prägten sie nachhaltig. Damit ließen sich auf radikale Weise Rollenzwänge erkunden und Körperlichkeit thematisieren. Als frühes Beispiel für diese Kunst zeigt die Ausstellung eine Arbeit von Vito Acconci, der zwar ein Pionier der für Künstlerinnen der Zeit so wichtige Performancekunst ist, aber von sich selbst einmal sagte, seine Arbeit sei ohne die feministische Kunst der früher 70er-Jahre undenkbar. Hier hätte man sich ein anderes Beispiel gewünscht.
Männliche Bildhauerei
Viele Klassiker dieser Phase wie etwa Sturtevant, Lynda Benglis und Eva Hesse sind aber vertreten: Benglis begibt sich mit einer schweren Bronzeskulptur in das von Männern beherrschte Metier der Bildhauerei. Sturtevant forderte mit ihren Kopien von Werken ihrer männlicher Zeitgenossen in Arbeiten wie „Lichtensteins’s Girl with Hair Ribbon“ den Kult um Genie und Originalität in einem patriachalisch strukturierten Kunstbetrieb heraus. Eva Hesses Skulptur aus Pappmaché, Holz, Plastik und Seil spielt mit der Assoziationen von weiblichen Brüsten und Milch.
Formen der Diskriminierung
Die Strategien der Pionieren wurden von ihren Nachfolgerinnen aufgegriffen und verfeinert: „Beim Feminismus heute geht es nicht mehr nur um die Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres biologischen Geschlechts“, erklärt Nina Pohl. „Vielmehr spielen dabei auch andere Dinge eine Rolle wie die soziale Stellung, Hautfarbe, Religion, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung, ein struktureller Sexismus und vieles mehr. Diese Vielfalt spiegeln auch die Arbeiten in der Ausstellung wider.“ So gibt es etliche Werke zum Beispiel von Afroamerikanerinnen, die Rollenmuster vor der Brille des Rassismus betrachten. Ellen Gallagher etwa demontiert mit ihrer Objektcollage „DeLuxe“ die durch Werbung für Haarglättungsmittel und Bleichcremes an schwarze Frauen herangetragenen gesellschaftlichen Anpassungszwänge.