Musik

Fettes Brot: „Viele deutsche Rapper erzählen Müll“

| Lesedauer: 6 Minuten
Steffen Rüth
König Boris, Björn Beton und Dokter Renz (von links) sind Fettes Brot.

König Boris, Björn Beton und Dokter Renz (von links) sind Fettes Brot.

Foto: Jens Herrndorff

Die Hip-Hop-Veteranen erkunden mit ihrem neuen Album „Lovestory“ das größte der Gefühle. Ein Gespräch über die Liebe und das Alter.

König Boris (Boris Lauterbach, 44), Dokter Renz (Martin Vandreier, 44) und Björn Beton (Björn Warns, 45) empfangen zum Gespräch nicht irgendwo, sondern im geräumigen und überraschend aufgeräumten Herrenzimmer ihres Studio-Büro-Abhängkomplexes in der Bernstorffstrasse in Hamburg-Altona. Das Thema am heutigen Nachmittag bei Kaffee und Keksen ist die neue Platte der Brote. „Lovestory“ heißt sie, und sie kommt einem Konzeptalbum so nah, dass man sie getrost so bezeichnen kann. Sämtliche Stücke drehen sich – im engeren, manchmal auch im weiteren Sinne – um die Liebe.

Berliner Morgenpost: Habt ihr „Lovestory“ hier in eurem eigenen Studio aufgenommen?

König Boris Auch, aber nicht nur. Wir haben unseren gewohnten Kosmos einige Male verlassen, um ein bisschen Luft an die Musik zu lassen. Wir waren in einer alten, zum Studio umgebauten Dorfschule in Niebüll auf dem Festland direkt vor Sylt, um Songs zu schreiben und Musik zu machen.

Der Protagonist im Song „Denxu“ erlebt „Küsse auf Sylt“. Seid ihr zum Knutschen manchmal rübergefahren auf die Insel?

Boris Die Küsse haben tatsächlich wie beschrieben nach Salz geschmeckt, und sie haben stattgefunden, allerdings nicht auf Sylt. Unsere Musik ist immer eine Mischung aus Erlebtem, Gehörtem und Erfundenem. Aber sie basiert nicht auf Tagebucheinträgen.

Auf den Job bezogen kann man sagen: Ihr drei macht seit einem Vierteljahrhundert, seit dem Ende eurer Schulzeit, hauptberuflich Hip-Hop. Würdet ihr euch heute nochmal so entscheiden?

Boris Ja, auf jeden Fall. Wie eine Entscheidung hat sich das aber nicht angefühlt. Es war eine Entwicklung, in die man reingestolpert ist.

Björn Aber es war unsere Entscheidung, dieser Entwicklung eine Chance zu geben.

Wird man zwangsläufig nostalgischer, je älter man ist?

Björn Man hat zwangsläufig mehr Erinnerungen und kann die besser einordnen. Aber ob man stärker in der Vergangenheit lebt, das ist typabhängig.

Renz Wir sind Menschen, die sich gern mal mit der Vergangenheit beschäftigen, aber sich noch lieber in der Gegenwart aufhalten. Nostalgie ist für uns als Künstler ein tolles Mischgefühl aus Traurigkeit, Sehnsucht und Hoffnung. Ein süßer, schwerer Cocktail, an dem man zur Inspiration ab und zu mal nippt.

Björn Wir neigen nicht dazu, verpassten Chancen nachzutrauern oder uns über die Fehler von früher zu ärgern. So, wie es war, war es cool und supergut.

Boris Wir haben uns ja 2017 mit „Gebäck In The Days“, unserer Live-Raritäten-Sammlung von Songs zwischen 1993 und 2000, intensiv mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt. Deshalb ist jetzt wieder Platz für den Blick nach vorn.

Für ein Liebesalbum klingt „Lovestory“ auffallend hell, fröhlich, optimistisch und funky.

Boris Danke. Ja, das ist keine balladeske Kitschkiste geworden, sondern wirklich eine Platte mit viel Energie.

Wie kam es überhaupt zu dieser thematischen Selbstbeschränkung?

Renz Als wir die ersten Songs aufnahmen, ragten jene Stücke besonders heraus, die mit Liebe zu tun hatten. Also haben wir beschlossen, uns ganz auf Liebesgeschichten zu konzentrieren, was uns wiederum dazu inspiriert hat, auch andere Nummern wieder reinzuholen, die wir eher außerhalb gesehen hätten, die aber die Liebe aus anderen Perspektiven betrachten.

Das Album beginnt mit „Ich liebe mich“, einer Ode an die Selbstliebe.

Boris Richtig. Klingt nach einer Plattitüde, aber stimmt: Wenn man Schwierigkeiten hat, sich selbst zu mögen, hat man auch Probleme, andere Menschen zu mögen.

Björn Der Song ist leichtfüßiger, als es den Anschein hat. Ein schweres Thema lässig vorgetragen.

Seid ihr soweit zufrieden mit euch?

Boris Völlig frei von Selbstzweifeln und Optimierungsgedanken sind wir nicht. Doch gerade im Internet muss man manchmal bewusst gegensteuern und Sachen ausblenden und ignorieren, damit sie einen nicht verrückt machen.

Björn Zu denen, die sich in den sozialen Medien toller darstellen als sie sind, gehören wir nicht.

Renz Es gibt so eine Stimme, die einem zuflüstert: „Du bist uncool, lahm, alt, unfunky“. Diese Stimme sollte man nicht füttern. Ich spüre immer einen wahnsinnigen Sog, alles, was im Netz über uns steht, aufzusaugen. Dann gebe ich mir einmal so eine Überdosis, bevor ich merke, das tut mir nicht gut.

Ist man irgendwann alt genug dafür, dass einem das Alter egal ist?

Boris Die Fantastischen Vier sind noch viel älter als wir. Jay Z ist in unserem Alter – und mit Beyoncé zusammen!

Renz Oder unsere Idole von De La Soul. Auch die zwei verbliebenen Beastie Boys sind in allen Ehren ergraut.

Boris Unser Alter sagt über die Qualität und die Freshness unserer Musik relativ wenig aus.

Findet ihr euren wohl größten Hit „Jein“ zum Beispiel noch cool?

Boris Ja, den müssen wir einfach lieben. Schon allein, weil so viele Leute diesen Song verehren und wir ihm unheimlich viel zu verdanken haben.

Björn Wir sind heute selbst von der Magie dieses Liedes begeistert und blicken mit Hochachtung auf ein Werk, das wir heute so nicht mehr hinkriegen würden. „Jein“ war ein kleiner Geniestreich. Darin nehmen wir ja das große Dilemma der heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorweg, die sich irgendwie entscheiden müssen, sich dann aber nur für das Verharren in der Entscheidungslosigkeit entscheiden.

Habt ihr als Urgesteine eigentlich noch den Überblick über die unzähligen Deutschrapper, die seit geraumer Zeit die Charts dominieren?

Björn Ja und nein. Immer wieder sind relativ neue Leute dabei, die einen begeistern. Trettmann zum Beispiel fanden wir schon immer gut, und wir freuen uns total darüber, dass er sich so gut entwickelt. Viele andere dieser Rapper erzählen jedoch so einen Müll, dass wir gar keine Lust hätten, sie kennenzulernen.