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Der lange Weg in die Krankenpflege: „Zu jeder Zeit“

| Lesedauer: 3 Minuten
Die Pflegeschüler lernen Herzkreislauf-Massagen zur Reanimation.

Die Pflegeschüler lernen Herzkreislauf-Massagen zur Reanimation.

Foto: Kinofreund

Überall ist Pflegenotstand: Ein Dokumentarfilm begleitet Pflegeschüler bei ihrer Ausbildung. Auch der Zuschauer wechselt die Seiten.

„Ich höre nichts. Keinen Herzschlag, nichts“, stellt eine Pflegeschülerin fest. Es schwebt aber niemand in Lebensgefahr. Die angehende Krankenschwester übt zum ersten Mal, mit dem Stethoskop Blutdruck zu messen.

In dem Dokumentarfilm „Zu jeder Zeit – Lernwege in der Pflege“ begleitet Regisseur Nicolas Philibert eine Klasse Pflegeschüler am Rande von Paris durch ihre dreijährige Ausbildung.

Das Thema passt in die Zeit: Der Pflegenotstand ist nach wie vor aktuell und die Bundesregierung versucht mit Kampagnen, den Beruf attraktiver zu machen. Philibert fokussiert sich auf die Schüler und schafft es, viele Aspekte ihrer Laufbahn miteinzubeziehen.

Komik und Action kommen nicht zu kurz

So teilt er den Film in die drei Abschnitte Theorie-Unterricht, Praktika und Nachbesprechungen. Er nennt diese Teile Bewegungen. Dieser Begriff aus der Musik drücke aus, wie sich jeder Teil in seiner eigenen Tonart entfalte, so Philibert.

„Dieses simple Narrativ erlaubt es mir außerdem, eine Art Crescendo zu kreieren, denn der Film gewinnt nach und nach an Intensität und Emotionalität“, erklärt er. Emotionen sind schon am Anfang des Films nicht weit, etwa wenn ein Schüler unter Gelächter mit einem weiblichen Unterleib aus Plastik zwischen den Beinen eine Geburt nachstellt.

Später simulieren Schauspieler einen Notfall und so kommt auch die Action nicht zu kurz. Regisseur Philibert zeigt deutlich die Vielfältigkeit des Berufs, denn die Schüler behandeln alles von Geburtshilfe bis Sterbebegleitung.

Auf einmal wird es ernst

Aus der Lehre in die echte Welt

Die Praktika im Krankenhaus bilden den zweiten Teil und bieten eine völlig andere Welt: Alles ist ernsthafter, die Schüler kümmern sich um die Wunden von alten Menschen oder sägen mit viel Körpereinsatz den Gips eines kleinen Mädchens auf. Ein Patient fragt halb scherzend „Bin ich eigentlich Ihr Versuchskaninchen?“ Die angehenden Pfleger sind in der echten Welt angekommen.

Dabei zieht sich Philibert, der in seinen Filmen auch die Kamera selbst macht, zurück und lässt das Geschehen komplett unkommentiert. Harte Schnitte lassen die Szenerie von laut zu leise und von aufgeregt zu ruhig wechseln, während der Ton immer nur aus der originalen Geräuschkulisse besteht.

Diese puristische Art ist toll anzusehen, weil sie den Blick auf das freilässt, worum es wirklich geht: Die Schüler und ihren Weg ins Berufsleben. Auf diesem Weg läuft nicht alles rund, wie man später auch aus den Praktikumsbesprechungen erfährt. Da bricht eine Schülerin in Tränen aus, weil auf der Station zu viel von ihr verlangt wurde.

Eine andere muss im Praktikum zwischen Arzt und Patient dolmetschen. Wieder andere sehen sich erstmals mit dem Tod konfrontiert und kommen zu der Erkenntnis, nicht immer helfen zu können.

Auch der Zuschauer wird zum Schüler

Die Entwicklung der Schüler mitzuerleben, ist bereichernd. Indem man den Blickwinkel des Patienten gegen den des Pflegers eintauscht, lernt man auch als Zuschauer eine Menge. Dieser Film ist unterhaltsam, streckenweise sogar zum Lachen, aber auch ernst und nachdenklich.

Die Episode der Praktikumsbesprechungen wirkt durch die reine Gesprächssituation dagegen trocken und zieht sich in die Länge. Doch wenn der Film schließlich abrupt endet, wünscht man sich, mehr davon zu sehen.