Vladimir Jurowski, der Dirigent mit dem unersättlichen Terminkalender – immer wieder Berlin und London im Wechsel, aber auch Dresden und Madrid sind dabei, Amsterdam und natürlich München. Noch beeindruckender allerdings: Jurowskis schwindelerregend umfangreiches Repertoire von Sinfonik bis Oper. Von der Wiener Klassik bis zur Nachkriegs-Avantgarde. Und dann hat der 47-jährige Jurowski neben seinem Chefposten beim Rundfunk-Sinfonieorchester ja auch noch ein weiteres Musikprojekt am Laufen: das „ensemble unitedberlin“.
Das ist eine flexible Musikergruppe, mit der sich Jurowski zusätzliche Wünsche erfüllen kann. Denn Jurowski beschäftigt sich auch mit Neuer und Neuester Musik. Er schätzt die kleineren, intimeren Besetzungen. Und er setzt sich gern für halb- und ganzvergessene Komponisten des 20. Jahrhunderts ein. Jüngstes Beispiel: Stefan Wolpe, 1902 in Berlin-Wilmersdorf geboren.
Aufgepeppt von der australischen Varieté-Diva Meow Meow
Doch ansonsten wirkt Jurowskis unitedberlin-Auftritt diesmal ungewohnt glamourös und unterhaltsam. Was natürlich einerseits an der australischen Varieté-Diva Meow Meow liegt, die den Konzerthaus-Abend mit einer ordentlichen Portion Erotik aufpeppt. Anderseits: Auch das Programm selbst wirkt relativ leicht zugänglich. Denn angekündigt ist Schmelztiegel-Musik der „Goldenen Zwanziger“ aus Berlin und London. Eine Musik zwischen Experiment und Exzess, zwischen Jazz, Musical und Klassischer Moderne.
Wobei Jurowski die „Roaring Twenties“ bei näherem Hinsehen bis in die 1930er ausdehnt. Und genau genommen auch die Achse Berlin-London noch um eine weitere Metropole ergänzt: Kurt Weills „Sieben Todsünden“ nämlich entstanden 1933 – und erlebten in Paris ihre Uraufführung. Aber gerade das ist typisch für Jurowskis Programmgestaltungen. Selbst bei thematisch angelegten Abenden kann man sich sicher sein: Jurowski baut Seiten- und Hintertüren ein, bietet erweiterte Perspektiven.
Kurzweilig ist auch Kurt Weills Parodie auf das Showbusiness
So auch gleich zu Beginn, im Falle des heutzutage nahezu unbekannten Stefan Wolpe. Ein paar seiner Jazz-affinen Klavierstücke erscheinen jetzt nämlich im knorrigen Gewand des zeitgenössischen Komponisten Geert van Keulen. Amüsanter dagegen William Waltons „Façade – An Entertainment“ im Anschluss. Ein Werk auf Texte der exzentrischen Dichterin Edith Sitwell. Doch „Texte“ bedeutet hier eher: virtuose Wortschwalle, Nonsense-Feuergefechte im Sekundentakt. Zusammengehalten von Waltons farbig-expressiver Musik und mit Stimmakrobatin Meow Meow als Hauptattraktion.
Noch kurzweiliger dann Kurt Weills „Sieben Todsünden“ nach der Pause – jene frühe Parodie auf die Tücken des Showbusiness. Noch kurzweiliger, weil Meow Meow zusätzliche Facetten ihrer Schauspiel- und Chanson-Kunst zeigen kann. Weil die Musik von Weill noch einfallreicher und raffinierter ist als die von Walton. Und vor allem, weil hier eine zusammenhängende Geschichte erzählt wird, der man sehr gut folgen kann.