Ausstellung

Warum die Bauhaus-Bewegung die Fotografie unterschätzte

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Johanna Di Blasi
T. Lux Feininger, Bauhausbühne Dessau: Lichtspiel von Oskar Schlemmer mit dem Tänzer und Pantomimen Werner Siedhoff, 1928

T. Lux Feininger, Bauhausbühne Dessau: Lichtspiel von Oskar Schlemmer mit dem Tänzer und Pantomimen Werner Siedhoff, 1928

Foto: © Estate of T. Lux Feininger

Eine Ausstellung im Museum für Fotografie beweist, wie vielseitig die vor 100 Jahren gegründete Kunstschule war

Berlin. Eine gute Voraussetzung für den Besuch der Ausstellung „Bauhaus und die Fotografie. Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst“ im Berliner Museum für Fotografie ist Schwindelfreiheit. Sobald man nämlich eine der ausliegenden VR-Brillen aufsetzt, verwandelt sich die eigene Hand in einen futuristischen Handschuh und im Ausstellungsraum öffnet sich in 360-Grad-Ansicht ein zweiter, virtueller Ausstellungsraum. Dieser versetzt Besucher 90 Jahre zurück ins Jahr 1929, in eine avantgardistische Foto-Ausstellung. Überraschenderweise aber sieht es dort nicht sehr viel anders aus als in Foto-Ausstellungen der Gegenwart.

Bei der virtuellen Rekonstruktion handelt es sich um eine 3D-Simulation jenes Teils der großen Werkbund-Wanderausstellung „Film und Fotografie“, den der ungarische Konstruktivist László Moholy-Nagy (1895-1946) verantwortete. Die „FiFo“ bot eine Bestandsaufnahme der damaligen fotografischen Entwicklung und war nach Stuttgart u. a. auch in Berlin zu sehen. Sie tourte sogar nach Japan. Moholy-Nagy ging es um das optische Erfassen einer „menschlich-sozialen Intensität“. Hierfür kombinierte er dokumentarische Aufnahmen, surrealistische Collagen, medizinische Bilder und künstlerische Fotoarbeiten, z. T. auch von seiner Frau, allerdings ohne dies zu deklarieren.

Auf einer der in Grau und Orange gestalteten Ausstellungswände der Präsentation stand in große Lettern: „Wohin geht die fotografische Entwicklung?“ Ein Kuratorenteam aus Design- und Kunstprofessoren hat diese Frage von 1929 anlässlich des diesjährigen Bauhaus-Jubiläums aufgegriffen und Antworten bei experimentell mit dem Medium Fotografie arbeitenden zeitgenössischen Künstlern gefunden. Künstler wie Wolfgang Tillmans, Douglas Gordon, Viviane Sassen oder Thomas Ruff beziehen sich auf die Avantgarde der 1920er Jahre, etwa mit Collagen, Überblendungen oder Fotogrammen.

Der zeitgenössische Teil der Ausstellung war bereits im NRW-Forum in Düsseldorf zu sehen. Für die Berliner Station wurde die Schau um zwölf historische Kapitel mit zahlreichen Originalabzügen aus den Beständen des „Neuen Sehens“ und der „Neuen Sachlichkeit“ der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen ergänzt.

„Reine Reproduktionsfotografie“

Im historischen Teil wird allerdings eine Schwachstelle deutlich, die nicht so recht in den großen Bauhaus-Taumel zu passen scheint: Ausgerechnet beim Zukunftsmedium Fotografie war das Bauhaus zögerlich. Erst zehn Jahre nach seiner Gründung wurde Fotografie in Dessau offizielles Lehrfach, und zwar als Unterabteilung der Reklame-Werkstatt. Kai-Uwe Hemken, Ko-Kurator von „Bauhaus und die Fotografie“ sagt: „Die Bauhaus-Fotografie hat es nicht gegeben. Es hat nur Fotografie am Bauhaus gegeben“. Sein Kollege Kris Scholz stellt zur Fotografie am Bauhaus fest: „Es war reine Reproduktionsfotografie und zum Teil nicht einmal von ihnen selbst, sondern sie haben Reproduktionsfotografen beauftragt.“

Abgesehen von Moholy-Nagy unterschätzten die Bauhausmeister offenbar das neue Medium. Sie überließen das Fotografieren der Jugend. Der damals 18-jährige Feininger-Sohn T. Lux, der später in den USA Karriere als Fotograf machte, schuf 1928 eine feinfühlige Dokumentation eines Lichtspiels des Meisters Oskar Schlemmer. Einige andere Bauhausschüler experimentierten bei Architekturaufnahmen mit rasant stürzenden Linien.

Das große Bauhaus-Jubiläumsjahr ist noch relativ jung, aber eines zeichnet sich bereits ab: Je genauer und umfassender auf das Bauhaus gezoomt wird, desto mehr verschwindet dieses paradoxerweise. Die vor hundert Jahren in Weimar eröffnete Reformschule war ohne Zweifel bedeutsam. Eine eigene Ästhetik, Stilrichtung, Methode oder politische Haltung, die sich mit dem Namen Bauhaus verbinden ließe, gibt es aber offenbar nicht. Gerade die Offenheit in alle Richtungen war wohl das globale Erfolgsrezept der Marke Bauhaus.

Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, Berlin, Di, Mi, Fr, Sa und So 11–19 Uhr, Do bis 20 Uhr. 11. April bis 25. August 2019.