Berliner Opernbesucher werden regelmäßig Kinder auf der großen Bühne entdecken, die wie selbstverständlich zu den Inszenierungen gehören. Dem Kinderchor der Deutschen Oper gehören rund 150 Mitglieder an. Der Chor ist noch jung: Im März 2009 trat er erstmals in der „Carmen“-Produktion auf. Zum zehnjährigen Bestehen gibt der Kinder- und Jugendchor am Dienstag im Großen Haus ein Festkonzert, bei dem John Rutters „Mass of the Children“ im Mittelpunkt steht. Das Gespräch mit Chorleiter Christian Lindhorst (43) fand am Rande der Proben statt.
An der Deutschen Oper wurden früher die Schöneberger Sängerknaben verpflichtet, bevor die Nachwuchsprobleme bekamen. Dann sprang der Staats- und Domchor Berlin ein, zu dessen Leitung Sie gehörten. Als sich das Haus entschloss, einen eigenen Kinderchor zu gründen, hat die Morgenpost das umfänglich unterstützt. Aber zugegeben, ein bisschen zweifelten wir schon, ob sich heutzutage genügend Kinder dafür begeistern lassen.
Christian Lindhorst Als die Idee aufkam, hat man sich am Haus auch gefragt, ob so viele Kinder zusammen kommen. An der Staatsoper und an der Komischen Oper gab es schon Kinderchöre, überhaupt gibt es in Berlin ein großes Spektrum an Jugendchören. Aber es gab auf Anhieb 200 Bewerbungen, die Kinder wurden auch alle zum Casting eingeladen. Der Chor war sofort ein Renner.
Sportvereine klagen darüber, dass Schulkinder oft überbelastet sind und nicht mehr genug Freizeit für Hobbys haben. Wie ist das im Kinderchor?
Die Kinder kommen nach einem unheimlich langen Schultag hierher. Wir können nicht vor 16.30 Uhr mit den Proben anfangen, das gilt auch schon für die Kleinen. Man merkt manchmal schon, dass es an die Grenze geht. Zumal sie anschließend noch ihre Hausaufgaben machen müssen. Chöre, Orchester, Musikschulen und Sportvereine haben damit ein großes Problem. Dabei ist es für die Bildung so wichtig, eigene Hobbys zu pflegen.
Kinder sind schnell zu begeistern, und ebenso schnell langweilen sie sich. Was darf man als Chorleiter keinesfalls tun?
Man darf selber nicht müde oder verspannt in eine Probe gehen. Man muss Energie verströmen. Und Kinder merken schnell, ob man gut vorbereitet ist. Kinder haben für vieles ganz feine Antennen.
Muss ein Kinderchor anders dirigiert werden?
Chöre muss man sowieso etwas anders dirigieren als Orchester. Bei Kindern potenziert es sich. Man muss sängerisch mitatmen und viel mehr die Linien anzeigen. Und man muss das Mitmachen mehr einfordern.
Sie beobachten das Erwachsenwerden Ihrer Chormitglieder, nehmen wir einmal den Stimmbruch bei den Jungen. Beginnt der heute wirklich früher?
Vielleicht verschiebt sich der Stimmwechsel ein wenig nach vorne. Verändert hat sich, dass man heute dazu übergegangen ist, die Jungen im Chor zu belassen. Ein paar Wochen lang geht gar nichts, aber es ist wichtig, die Jungs im Chor zu halten. Früher gab es mit dem Stimmwechsel einen Abschied und sie waren weg. Wir haben vor sechs Jahren die Voice Changers gegründet, wo die Jungen im gesicherten Raum ihre Stimmen ausprobieren können. Es macht Spaß, die Entwicklungen zu begleiten.
Sie haben verschiedene Chorformationen für Kleine und Größere, für Jungen im Stimmbruch, für Konzerte. Aber zuerst sollen die Kinder doch für eine Mitwirkung in den Opernaufführungen trainiert werden?
Der Vorteil ist, dass unsere Kinder schnell und selbstbewusst auf einer Bühne stehen und mutig singen können. Das ist zugleich ein Nachteil. Ein klassischer Kinderchor lässt sich mehr Zeit, die Stimmen zu entwickeln. Wir müssen schon jüngere Kinder heranziehen, damit sie schnell auf die Bühne kommen.
Der Opernchor trainiert also kleine Rampensäue heran?
Ja, ein bisschen ist das so. Aber es führt dazu, dass manche Kinder anfangen, zu laut zu singen. Das fangen dann unsere Stimmbildnerinnen auf.
Die Deutsche Oper ist mit ihrem großen Repertoire an Werken ja ein Traumland für Kinderdarsteller. Haben Ihre Chorkinder eine Lieblingsoper?
Ja, es ist Bizets „Carmen“. Ich glaube, es liegt auch daran, weil die kleinen Chorkinder als erstes den Marsch der Gassenjungen lernen. Damit wollen sie irgendwann auf die Bühne. „Carmen“ ist so positiv besetzt.
Was berührt Sie als Chordirektor am meisten?
Dass sich so viele Chorkinder irgendwann entscheiden, einen musikalischen Beruf zu ergreifen. Wir haben bereits mehrere Gesangsstudenten an den Hochschulen. Das berührt mich. Meine Intention ist es ja, junge Menschen an die Musik heranzuführen. Es ist auch bemerkenswert, dass die Fluktuation im Chor viel geringer ist als man denkt.
Hat sich in den zehn Jahren etwas in den Castings verändert?
Sie werden besser. Bislang kamen viele Kinder und sangen laut und brustig. Die Kopfstimme war nicht trainiert, aber eigentlich kann jedes Kind hoch singen. In den Kitas und Schulen ist inzwischen angekommen, wie wichtig Singen für Kinder ist. Aber Erwachsene singen aus Bequemlichkeit lieber tiefer. Man muss beim Singen mit Kindern darauf achten.
Wie ist das Verhältnis der drei Kinderopernchöre untereinander?
Alle haben viel zu tun. Aber mit dem Kinderchor der Staatsoper hatten wir schon ein gemeinsames Konzert.
Was sind Ihre Träume für den Chor?
Mein Traum hat sich in gewisser Weise erfüllt, der Kinderchor wird immer mehr auf der Bühne der Deutschen Oper eingesetzt. Er ist ein selbstverständlicher und wichtiger Teil des Hauses geworden.
Wie wird man Kinderchordirigent?
Ich war selber in einem Kinder- und Jugendchor in einer Kantorei in Wilhelmshaven. Mit neun Jahren habe ich meine erste Bach-Arie in einer Kantate gesungen. Ich habe das als Kind geliebt. Schon beim Abitur dachte ich, es wäre mein Traum, einen Chor zu leiten. Gerne auch einen Jugendchor. Ich studierte zuerst in Berlin Schulmusik, dann Chorleitung.