Berlin. Für ihren Roman „Schäfchen im Trockenen“ ist die in Berlin lebende Autorin Anke Stelling mit dem Buchpreis ausgezeichnet worden.

„Wie man’s macht, ist’s falsch, Macht macht verantwortlich, und wenn ich gar nichts mehr mache, bin ich schuld, dass ich nichts gemacht habe.“ Wer nicht in dieses Dilemma geraten wolle, müsse sterben, sagt Resi. Sie ist Mitte Vierzig und wütend. Nein, eigentlich ist sie beschämt, unsicher, überfordert - und mit der Gesamtsituation unzufrieden. Aber weil das schwer auszuhalten und überhaupt eine Zumutung ist, ist Resi dann doch lieber wütend. Das ist der Grundton, der in Anke Stellings Roman „Schäfchen im Trockenen“ (Verbrecher Verlag, 22 Euro) vorherrscht, für den sie am Donnerstag mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Belletristik ausgezeichnet wurde.

Hadern mit dem Schicksal

260 Seiten lang hadert Stellings Ich-Erzählerin mit ihrem Schicksal und mit ihrem Umfeld. Es ist ein Generalangriff. Er richtet sich gegen die 68er-Generation, die die gesellschaftliche Ungleichheit zwar überwinden wollte, aber, so Resis Analyse, indem sie die Unterschiede wegschwieg, statt sie tatsächlich zu überwinden. Er richtet sich gegen die Lebenslügen der Gesellschaft wie jedes Einzelnen.

Damit meint die Ich-Erzählerin auch sich selbst, ihr Leben mit ungeregeltem und nicht gerade üppigem Einkommen, vier Kindern und dem wackelnden Glück, trotzdem eine günstige Wohnung in der Berliner Innenstadt zu haben. Und sie meint die täglichen Niederlagen des Alltags, dieses dauernde Gefühl zu scheitern, es „nicht im Griff zu haben“, es „nicht hinzukriegen“.

Suche nach Gerechtigkeit

Deswegen diskutiert sie in einer Art Tagebuchtext mit sich selbst, adressiert darin manchmal ihre größte Tochter im Teenageralter, Bea, ohne dass klar ist, ob sie ihr den Text je vorlegen wird. Resi sucht universelle Gerechtigkeit - und ist am Ende doch nur selbstgerecht. Mal klingt es bitter, mal kämpferisch, mal verzweifelt.

Der Erzählstil wechselt, je nach Laune, so wie es auch Tagebucheinträge gerne tun. Insgesamt klingt Stellings Text so, als könne er in Auszügen auch gut auf einer Poetry-Slam-Bühne vorgetragen werden. Resi spielt mit Songzitaten, Erinnerungen und auch mal Satzzeichen. Beispiel: „Idee für einen Songtext: My hungry heart hitchhikes, my ass is on Sitzstreik“.

Das Erbe der 68er

Mit „Schäfchen im Trockenen“ umkreist Stelling ähnliche Themen und Fragen wie schon in „Bodentiefe Fenster“. Damit stand die Autorin, geboren 1971 in Ulm, auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. „Wir wollten einander davor bewahren, gescheit im Sinne von rücksichtslos, erwachsen im Sinne von überfordert, verheiratet im Sinne von eingesperrt und Eltern im Sinne von paternalistisch zu werden“, schreibt Resi über ihren Freundeskreis, der seit Schulzeiten - also knapp drei Jahrzehnten - bestand. Finanziell gehörte sie nie so richtig dazu, intellektuell aber schon. Es liegt am Leser, ob er das als Anklage versteht oder als Aufmunterung, den Weg der 68er wieder aufzunehmen. Aber eben nicht nur die Ungleichheit wegzuschweigen, sondern sie kleiner zu machen.

„Schäfchen im Trockenen“ ist nicht nur eine Abrechnung, sondern klingt wie ein Appell zu akzeptieren, dass das Leben voller Ecken und Kanten ist - Scheitern ist nicht immer eine Chance, aber Nachsicht ist nötig.

Weitere Preisträger

Der Preis der Leipziger Buchmesse ist mit 60.000 Euro für alle drei Kategorien dotiert. In der Kategorie Sachbuch/Essayistik wurde der Journalist und Kritiker Harald Jähner für sein Buch „Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945-1955“ (Rowohlt, 26 Euro) geehrt. Der Preis in der Kategorie Übersetzung wurde an Eva Ruth Wemme vergeben. Sie übertrug das Buch „Verlorener Morgen“ von Gabriela Adamesteanu (Die Andere Bibliothek, 42 Euro) aus dem Rumänischen ins Deutsche.