Theaterkritik

Katharina Thalbach: Ihr Name ist Hase, sie weiß Bescheid

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Peter Zander

Foto: pa

Mit „Hase Hase“ landet die Komödie im Schiller Theater einen Punktsieg - trotz kränkelnder Katharina Thalbach.

Berlin. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn der Intendant eines Theaters schon vor der Premiere auf die Bühne kommt. Die gute Nachricht sei, so Martin Woelffer am Sonntagabend im Schiller Theater, dass die Vorstellung stattfinde. Aber die halbe Besetzung sei krank. Auch, und da hält das Publikum den Atem an, Katharina Thalbach. „Hase Hase“, das war der letzte Erfolgshit mit der Thalbach am alten Schiller Theater, bevor das Haus 1993 dichtgemacht wurde. Es ist jetzt die Produktion, mit der sie hierher zurückkehrt. Und dann soll sie nicht dabei sein? Aber nein, sie kommt. Und ein Arzt, wird versichert, stehe allzeit bereit.

Fast 26 Jahre ist es her, dass Katharina Thalbach den jüngsten Spross der Familie Hase spielte, schon damals mit Latzhose, rotem Sams-Haar und Hasenzähnen. Damals noch unter der Regie ihres Vaters Benno Besson. Das Stück stammte von dessen damaliger Lebensgefährtin Coline Serreau, Mutter Hase spielte seine ehemalige Lebensgefährtin Ursula Karusseit. Jetzt hat die Bühnen- und Filmautorin („Drei Männer und ein Baby“) selber Regie geführt, und alle aus dem weitverzweigten Besson-Clan, die Thalbach mit Tochter und Enkelin, außerdem Pierre und Philippe Besson, Bessons Söhne mit Karusseit, und Nathanael Serreau, Bessons Sohn mit Serreau, sie alle spielen mit in diesem Familiendrama im doppelten Sinn.

Es geht darin um eine einfache Familie, die in ärmlichen Verhältnissen in anderthalb Zimmern wohnt. Anfangs zu viert. Aber das wird sich ändern, hofft Mutter Hase, beim Vater gibt’s ja bald eine Gehaltserhöhung, der ältere Sohn studiert Medizin und der jüngste Spross geht aufs Gymnasium. Da weiß sie noch nicht, dass der Papa längst entlassen ist, der Student Terrorist ist und der Jüngste nicht zur Schule geht. Aber es kommt noch dicker, weil auch die beiden Töchter plötzlich mit Koffern vor der Tür stehen, die eine, weil sie frisch geschieden ist, die andere, weil sie noch auf dem Standesamt Nein gesagt hat. Dann kommt auch noch der dritte Sohn, der von der Polizei gesucht wird und im Badezimmer versteckt werden muss.

Ein Hohelied auf die Familie und den Zusammenhalt

Es ist hochamüsant, wie es immer wieder an der Tür schellt, immer noch ein Familienmitglied einzieht und die Wohnung zum Matratzenlager wird. Bühnenbildner Momme Röhrbein hat auf die riesige Bühne eine winzige Art Pappkartonwohnung geschaffen. So wie man als Kind vielleicht seinen eigenen Hasen gehalten hat. Ein Stall voller aufgeregter Hasen. Denn es rumort da draußen im Land, das schwappt auch auf die Familie über. Coline Serreau hat ihr 30 Jahre altes Stück eigens für diese Produktion umgeschrieben. Als sie das Stück 1980 schrieb, liebäugelte sie noch mit Ideen der Alt-68er. Jetzt wird die volle Bude auch zum Testfall für die europäische Willkommenskultur. Draußen tobt Terror, die Politik kontert mit drastischen Maßnahmen. Sohn Bébert (Philippe Besson) ist daher, hochaktuell, ein Cyber-Hacker, der das korrupte System sprengen will. Tochter Lucie (Anna Thalbach) trägt plötzlich Kopftuch und bringt auch diese Debatte aufs Tapet.

Aber da ist noch der jüngste Hase, der, was keiner ahnt in der engen Stube, in Wahrheit ein Alien ist, das in die Familie infiltriert wurde. Eine Art Jesus, von oben auf die Welt gesandt, um die Menschheit zu erlösen und Frieden zu schaffen. Was man 1992 bei der deutschsprachigen Erstaufführung, kurz nach Ende des Kalten Krieges, vielleicht wirklich glauben mochte, heute aber wieder ziemliche Science-Fiction ist.

Immer mehr Hasen bevölkern den Stall, am Ende werden in diesem Hohelied auf den Familiengeist auch Beinahe-Schwiegersohn und die einsame Nachbarin aufgenommen. Was für viere gut war, wird auch für elf irgendwie reichen. Und das ist natürlich umso lustiger, wenn man weiß, dass die halbe Besetzung wirklich verwandt ist. Auch wenn die Regisseurin höchst familienuntypisch besetzt hat. So spielt Anna Thalbach die jüngere Schwester ihrer eigenen Tochter Nellie. Pierre Besson, der gern den Vater gegeben hätte, muss die Mutter verkörpern – wie seine eigene Mutter das einst getan hat. Und Katharina Thalbach, die am Vortag der Premiere ihren 65. Geburtstag feierte und damit die Älteste auf der Bühne ist, spielt den jüngsten Hasen. Klingt alles verworren? Ist aber rasend komisch.

Komisch auch, wie die Thalbach mit den Hasenzähnen auf die Nöte ihrer Mitmenschen guckt und E.T.-mäßig heimlich per Wasserstoff 21 Kontakt nach Hause aufnimmt. Star des Abends ist diesmal aber nicht sie, wie vor einem Vierteljahrhundert, sondern Pierre Besson, der seine Mutterfigur so fern jeder Travestie zu einer herrlich neurotischen Nummer auffährt. Da zeigt sich auch Coline Serreau als große Feministin, die diese zentrale Figur so stark gewichtet (und einst bei der Uraufführung selbst gespielt) hat.

Der bereitgestellte Arzt muss übrigens im Lauf des Abends nicht einschreiten. Auch wenn man Katharina Thalbach am Ende etwas ansieht, wie sehr sie ihre Magen-Darm-Grippe mitnimmt, und Pierre Besson über seine Erkältung tapfer hinwegspielt. Am Ende liegen sich die Halbgeschwister, Viren hin oder her, erlöst in den Armen. Und werden mit Standing Ovations gefeiert.

„Hase Hase“ ist ein Punktsieg für die Komödie, die nach dem Umzug in das viel größere Haus befürchtete, den Saal nicht füllen zu können. Und für die nächsten Vorstellungen nahezu ausverkauft ist. Ein Punktsieg auch, weil Ser­reaus Stück trotz allen Pointenfeuers doch weit über das gehobene Boulevard hinausgeht und der Komödie im Schiller Theater vielleicht noch ein ganz anderes Publikum erschließt.

Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater, Bismarckstr. 110. Tel.: 88 59 11 88. Vorstellungen: Bis 24. Februar.