Berlin. Fünf Jungen mit samtenen Stimmen und definierten Körpern bieten geschmeidigen Pop zu mitreißender Choreografie dar. Ganz vorn steht selbstverständlich der blonde Schwiegermutter-Traum. Sofort werden Erinnerungen wach an den Hype um die Boygroups in den 90ern. Damals, als mit Take That der Prototyp aller gecasteten Boybands die Hitparaden stürmte. Teenieträume vom Reißbrett. Doch hier ist es anders. Die Bühnenoutfits sind mit Kreuzen gespickt und die Fünf säuseln: „Stellt eure Seele nicht zum Verkauf, wir zeigen euch den Weg zum Himmel rauf.“
Das Musical „Altar Boyz“ feierte am Dienstag in der Bar jeder Vernunft Premiere. Es war die deutschsprachige Erstaufführung des gleichnamigen Stücks aus den USA von Gary Adler, Michael Patrick Walker und Kevin Del Aguila. Die deutsche Fassung der Musical-Comedy-Show in der Regie von Michael Heller verspricht eine Persiflage auf das Phänomen der Boybands in den 90ern – und die christliche Musik. Die hat nicht nur in den USA Fans, sondern auch in wachsender Zahl hierzulande.
Die Altar Boyz zelebrieren das letzte Konzert ihrer „Sensation Christ Tour“. Gehofft hat die katholische Boygroup auf ganz große Hallen. Tatsächlich sind es dann Gemeindesäle und Jugendclubs. Aber immerhin haben sie mit ihrer glaubenssatten Popmucke 120.000 Seelen gerettet und von Sünden befreit. Gemessen mit dem Soul Sensor DX-12 von Sony. Die Marke ist für die Jungs so anbetungswürdig wie der Allmächtige.
Für jeden Geschmack ist etwas dabei: der blondgelockte, streng gläubige Matthew (Tobias Bieri), der dunkelhaarige, schwule Mark (Martin Mulders), der ein Outing ganz anderer Art hat. Latin Lover Juan (Daniel Tejeda) mit seinem charmanten Akzent, den er von mexikanischen Nonnen gelernt hat. Möchtegern-Bad-Boy Luke (Christopher Bolan), der sich am Messwein bedient. Und Abraham (Tom Schimon). Er ist Jude und durch Zufall in die Band geraten.
Gemeinsam flöten sie mit entrücktem Blick Bibelverse im Stil der Backstreet Boys. Dabei gelingen durchaus pointierte Textzeilen wie „Jesus folgte mir auf Insta“. Doch der Spott in den christlichen Songs ist so schmal dosiert, dass er nie aneckt. Eher niedlich als geistreich oder gar kritisch. So brav und zahnlos wie ein Taizé-Gottesdienst.
Und die Posen sind beileibe keine Parodie. Wer Boygroups wie Caught in the Act oder Westlife erlebt hat, der weiß, sie haben mit allem übertrieben: mit den Gefühlen, dem Schmelz in der Stimme, den Tanzschritten, dem Glitzerlook. Genau wie die Altar Boyz. Sie können allemal fabelhaft tanzen, singen und spielen. Nur kopieren sie haargenau die Optik, die sie eigentlich persiflieren wollten. Ohne Mut zum wirklich Schrägen. So klappt es nicht mit dem Überzeichnen. Das Ergebnis: süßlich-belanglose Boygroup-Seligkeit mit leichtem Witz und viel Bibel-Vokabular.
Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf, Tel. 883 15 82. Termine: 17.–20.1., 19., 21.–24.3., Di.–Sbd. 20 Uhr, So 19 Uhr