Gorki Theater

Wenn ohne Pass gar nichts mehr geht

| Lesedauer: 3 Minuten
Katrin Pauly
In den Hauptrollen: Anastasia Gubareva und Dimitrij Schaad.

In den Hauptrollen: Anastasia Gubareva und Dimitrij Schaad.

Foto: imago/Martin Müller

Ein warmherziger, bewegender Abend: Regisseur Hakan Savas Mican bringt Erich Maria Remarques „Die Nacht von Lissabon“ ans Gorki.

Berlin. Eine Geschichte von Liebe und Flucht, von großen Gefühlen in bitteren Zeiten, von Menschen, die weder bleiben noch ankommen dürfen. Das ist natürlich allerfeinster Gorki-Stoff, den Erich Maria Remarque mit seinem Roman „Die Nacht von Lissabon“ da produziert hat. Wie gemacht für das Haus am Festungsgraben, an dem Fragen nach Identität und Herkunft fest im Spielplan verankert sind. Bei Regisseur Hakan Savaş Mican ist Remarques Migrationsmelodram in guten Händen. Der ausgebildete Filmemacher kann Emotionen in Großaufnahme auf die Bühne bringen, er kann Romantik. Und er glaubt an das Geschichtenerzählen, auf eine klassische, fast altmodische Art.

Remarque tut das auch. Tatsächlich liefert der Wunsch nach Bewahrung und Selbstvergewisserung den Rahmen für Remarques Roman. Zwei Männer treffen sich 1942 im Hafen von Lissabon, der eine braucht Geld und Papiere, um mit dem Schiff nach Amerika zu emigrieren. Der andere, der sich als Joseph Schwarz vorstellt, bietet ihm beides an, unter der Voraussetzung, dass der Fremde ihm eine Nacht lang zuhört. Weil er loswerden muss, was ihm geschah. Wie er mit seiner Frau Helen vor den Nazis durch halb Europa floh und am Ende doch keine Zukunft mit ihr erleben wird.

Man merkt diesem Abend die Dringlichkeit des Erzählens an, nicht zuletzt, weil Regisseur Mican den Rahmen nur andeutet. Nicht der Fremde am Quai ist der Adressat, wir im Publikum sind es. Von Schauspieler Dimitrij Schaad werden wir charmant zu dieser Geschichte verführt, er berichtet, wie Regisseur Mican den Stationen von Josephs und Helens Flucht nachgereist ist, gemeinsam mit dem Videofilmer Benjamin Krieg. Die Texte und Bilder aus Osnabrück, aus der Schweiz, aus Frankreich und Lissabon, die sie von dieser Fahrt durchs Europa von heute mitgebracht haben, illustrieren und kommentieren Josephs und Helens Odyssee von damals. Auf der Rückwand der bis auf einen kleinen Schreibtisch leer geräumten Bühne sehen wir Autobahnen, Gässchen, Wohnblöcke. In die Erzählung schieben sich die Notizen des Regisseurs, gespickt mit Reflexionen, die aus der eigenen postmigrantischen Lebensgeschichte gespeist sind.

Ein Regisseur packt aus

Dieser sehr persönliche Zugriff des Regisseurs funktioniert hervorragend, wo er unmittelbar an die Romanvorlage anknüpft, wenn er etwa selbst im Hafen von Lissabon steht und ein Kreuzfahrtschiff beobachtet, auf das er keinen Zutritt hat. Ausgeschlossen, am Rand stehend. An anderen Stellen zersplittert die Verschränkung die Handlung unnötig. Da hätte manche Straffung gutgetan. Die Darsteller spielen lässig darüber hinweg, sie sind herausragend. Dimitrij Schaad spielt alle männlichen Figuren und erzählt diese Geschichte als große Herzensangelegenheit. Die Rolle der Helen übernimmt Anastasia Gubareva und stattet sie mit geheimnisvoller Undurchsichtigkeit aus.

„Der Mensch“, heißt es bei Remarque, „war um diese Zeit nichts mehr; ein gültiger Pass alles.“ Was dieser Umstand mit den Menschen macht, das hat Hakan Savaş Mican zu einem berührenden, warmherzigen Abend verdichtet, der unaufdringlich bis in unsere Gegenwart reicht.

Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte. Nächste Termine: 17.1., 24.1., 7.2., je 19.30 Uhr