Berlin. Nach 14 Jahren endet 1933 das Bauhaus-Experiment in Berlin, dem dritten Wirkungsort nach Weimar und Dessau. Im „Anhalter Anzeiger“ erscheint ein Artikel mit der Überschrift „Das kostspielige Bauhaus“, Untertitel „Eine Keimzelle bolschewistischer Zersetzung“. Die Typisierung der Formen und Mechanisierung der Produktion wird als „der Eigenart des Volkstums“ zuwiderlaufend charakterisiert. Die so entstehenden Erzeugnisse würden einen „toten, wurzel- und charakterlosen Eindruck“ machen. So sah das wohl auch Hitler, der polemisch bemerkte, der Mensch sei nicht aus Würfeln und Dreiecken zusammengesetzt.
Mit dem Zwangsabbruch des interdisziplinären Experiments am Beginn der NS-Zeit ist die Bauhaus-Pädagogik aber keineswegs am Ende, sondern im Gegenteil: Sie strahlt nunmehr international aus. Vor allem in den USA wird sie aufgegriffen. Dorthin emigrieren prägende Bauhaus-Meister. Der Architekt Walter Gropius, der 1919 in Weimar das Bauhaus gegründet hatte, wird 1938 in den USA Leiter der Architekturabteilung der Harvard-Universität. Sein Kollege Mies van der Rohe übernimmt am Institute of Technology in Chicago eine ähnliche Rolle.
Wo Amerikas Künstlerelite zur Schule ging
Der Künstler László Moholy-Nagy knüpft 1937 mit seinem „New Bauhaus“ in Chicago, dem heutigen Institute of Design (ID) am Illinois Institute of Technology (IIT), ausdrücklich an die innovative Künstler-, Architekten- und Designerschmiede aus Deutschland an. Das Curriculum ist wie bereits in Weimar auf die Integration aller künstlerischen und gestalterischen Disziplinen ausgerichtet, die Ausbildung erfolgt in Werkstätten und auch der berühmte „Vorkurs“ als eine Art Orientierungsstufe wird beibehalten: als „Preliminary Course“.
Während im New Bauhaus in Chicago eine akademische Atmosphäre vorherrscht, stets neueste Theorien ventiliert werden und Fächer wie „Industrial Design“ oder „Advertising Arts“ unmittelbar auf den ökonomischen Bedarf zugeschnitten sind, herrscht im legendären Black Mountain College von Josef Albers, einem anderen Bauhaus-Lehrer, ein betont unakademisches Klima. Damit spiegelten sich in den USA in deutlicher Weise zwei Flügel des Bauhauses: der rationalistisch-konstruktivistische (Moholy-Nagy) und der gefühlsbetont-mystische (Johannes Itten).
In den Bergen von North Carolina, abseits der Metropolen, kann sich Amerikas Kreativelite ausprobieren. Die idyllische Abgeschiedenheit des Black Mountain College erweist sich wie schon in Weimar als kreativitätsfördernd. „Man braucht einen kleinen, stillen Ort, um ein gemeinschaftliches Arbeiten der Beteiligten untereinander zu ermöglichen“, war Gropius überzeugt. Fast die gesamte Künstlerelite Amerikas drückt bei Albers die Schulbank, von Jackson Pollock bis zu Robert Rauschenberg.
Albers geht es um „Interactions of Colour“, das Zusammenspiel von Farben, Formen, Elementen, Materialien. Der Maler und Kunsttheoretiker hatte 1920 in Weimar unter dem charismatischen Bauhaus-Meister Johannes Itten selbst den Vorkurs besucht und ab 1925 neben László Moholy-Nagy im Vorkurs unterrichtet. Am Black Mountain College geben mit Josef und Anni Albers, Alexander Schawinsky oder Gropius ehemalige Bauhäusler Kurse.
Klassische Künste im digitalen Zeitalter
In Deutschland wirkten Bauhausideen zunächst unterschwellig weiter. Laut dem Kunstpädagogen Rainer K. Wick erfolgte eine „selektive Aneignung“ der Bauhaus-Pädagogik. Weder im Osten der Republik, wo das Bauhaus als „formalistisch“ abgetan wurde, noch im Westen, wurde ein neues Bauhaus gegründet. Institutionen wie die Kunstgewerbeschule Halle (Burg Giebichenstein) oder die Frankfurter Kunstschule können aber als Bauhaus-Derivate angesehen werden.
In der Ära der Postmoderne stürzten die Bauhaus-Aktien in den Keller. Die Reformschule konnte als Agentur abstrakter Überformungsanmaßungen von Mensch und Welt angesehen werden und als Prototyp der Fortschrittsideologie. Mit der interdisziplinären Methode, dem kreativen Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft, von Avantgarde und neuesten Technologien, schien das Bauhaus aber gleichzeitig Schlüssel zur Überwindung von Einseitigkeiten der Moderne parat zu halten.
1989 wurde das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM; bis 2016 Zentrum für Kunst und Medientechnologie) mit der Mission gegründet, „die klassischen Künste ins digitale Zeitalter fortzusetzen. Der Gründungsdirektor Heinrich Klotz sprach auch vom „elektronischen Bauhaus“ oder „digitalen Bauhaus“. Grundidee des ZKM laut Homepage ist es, „künstlerische und zukunftsweisende Technologien“ zusammenzuführen.
Ein Vorbild für das ZKM war das kurz davor gegründete MIT Media Lab, eine Fakultät des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge-Massachusetts. Rund um das von Nicholas Negroponte und Jerome Wiesner, dem ehemaligen Berater von John F. Kennedy, gegründete MIT Media Lab entwickelte sich eine Start-up-Szene. Und das 2007 in Paris gegründete Le Laboratoire unterhält einen Ableger an der Harvard-Universität in Cambridge.
Labs: Wissenschaftslabor und Künstleratelier
Initiator von Le Laboratoire ist David Edwards, ein amerikanischer Erfinder, Unternehmer und Hochschullehrer, der unter anderem eine Methode entwickelte, die das Inhalieren von Nahrung erlaubt, sowie ein Patent für die Übertragung von Düften per Handys. Laut Edwards ähneln gegenwärtige Artscience Labs dem deutschen Bauhaus aus dem frühen 20. Jahrhundert, wo Ideen aus Kunst und Design in Prozessen experimentellen Lernens optimiert wurden und Ausstellungen eine wichtige Rolle spielten.
Formal gesehen handelt es sich bei Labs um die praxisbezogene Fusion und Aufwertung zweier kulturell aufgeladener Orte: Wissenschaftslabor und Künstleratelier. Im Hintergrund des Lab-Hypes stehen der rasante Medien- und Technikwandel im digitalen Zeitalter sowie globale Veränderungen (politische, soziale, kulturelle, ökonomische, ökologische) und damit einhergehende gestiegene Komplexitätsanforderungen und Verunsicherungen, die inter-, trans- oder crossmediale Ansätze erforderlich erscheinen lassen.
Eine Reihe von Labs steht in Zusammenhang von Bemühungen angelsächsischer Universitäten, enger mit ökonomischen Gründerszenen (z. B. in Silicon Valley) und der Industrie zusammenzuarbeiten, und sich in einer Wissenschaftslandschaft mit steigendem Wettbewerb und rückläufiger öffentlicher Wissenschaftsförderung zu positionieren. Man kann darüber streiten, wie sehr die zeitgenössische Lab-Kultur Bauhaus-Idealen nahesteht und ob Design- und Media-Labs geeignete Formate sind, um den Herausforderungen der Post-Wachstumsgesellschaft und der Umweltkrisen wirksam zu begegnen.
Nach Philipp Oswalt, dem ehemaligen Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau, drängen gerade die „uneingelösten Versprechen“ und der „utopische Überschuss“ des Bauhauses zur Fortführung. Die Antworten seien heute aber notwendig andere. „Wir leben in den Industrieländern nicht mehr in einer Wachstumsepoche, sondern in einer Alterungs- und Schrumpfungsepoche. In unserer heutigen Epoche steht etwa ein interaktives Projekt des Chaos Computer Clubs den Bauhaus-Ideen und -methoden näher als das neueste Stahlrohrmöbel“.
Brecht, Busch und viele neue Theaterstücke in Berlin
Bund gibt zum Bauhaus-Jubiläum 2019 Gedenkmünze heraus