Gerd Wameling ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Was man natürlich vom Grandseigneur des deutschen Theaters erwartet. Weniger bekannt ist, dass er ein großer Musikliebhaber ist. Gern erzählt er also von seiner ersten privaten Begegnung mit der Soprandiva Jessye Norman in Paris. Zuvor hatte er sie in einer von Bob Wilson inszenierten Gospelshow erlebt. Typisch Wilson ein stiller Zeitlupen-Kult: Die Norman sitzt mit dem Rücken zum Publikum, geht ganz langsam zum Fenster im Hintergrund, dreht sich und nimmt eine Karaffe mit Wasser und ein Glas vom Fensterbrett. Und während der erste Tropfen in das Glas fällt, beginnt sie „Amazing Grace“ mit einer Wucht zu singen, dass sich das Publikum in die Sitze gepresst fühlt. „Das ist die Macht und die Kraft des Gesangs“, sagt Wameling.
In Paul Abrahams Operette „Viktoria und ihr Husar“, die an der Komischen Oper am Sonnabend ihre konzertante Premiere erleben wird, verkörpert Wameling den amerikanischen Botschafter. Und er wird selbst singen. „Ich habe ja schon früher mal im ,Weißen Rössl‘ in der Bar jeder Vernunft gesungen, auch in ,Hello, Dolly‘ im Stadttheater Bern mit den Geschwistern Pfister“, sagt Wameling: „Man hat mir jetzt gesagt, es gehört ein kleines Duett mit der Viktoria dazu. Es ist ein schönes Lied.“ Überhaupt finde er die Musik in der Operette großartig, sagt der Schauspieler. „Man kennt Lieder wie ,Pardon Madame‘ oder ,Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände‘, weiß aber nicht, dass sie aus ,Viktoria und ihr Husar‘ sind. Ich dachte vorher, es sei eine unbekannte Operette.“
Der Schauspieler führt durch die komplizierte Handlung
Die Operette von 1930 ist eng mit dem Opernhaus an der Behrenstraße verbunden. Im früheren Metropol-Theater sorgte die Aufführung von „Viktoria und ihr Husar“ für den internationalen Aufstieg des jüdisch-ungarischen Komponisten Paul Abraham. Nachdem er von den Nazis vertrieben worden war, geriet sein Werk in Deutschland in Vergessenheit. Intendant Barrie Kosky hat sich vorgenommen, die Werke Abrahams in seine Komische Oper zurückzuholen.
Was aber nichts daran ändert, dass die typische Operettenhandlung nur schwer vermittelbar ist. „Die Originaldialoge sind nicht wirklich toll“, sagt Wameling: „Aber die komplizierte Geschichte wird durch meine Figur erheblich erleichtert. Ich spiele den amerikanischen Botschafter, der zugleich eine Figur in der Geschichte ist, nämlich der Ehemann der Viktoria. Ich erkläre dem Publikum, wie alles gelaufen ist.“ Mit dem strammen Rittmeister.
„Wolffs Revier“ und „Tatort“
Den Schauspieler werden die meisten aus Film und Fernsehen kennen. In den 90er-Jahren spielte er in der Berliner Krimiserie „Wolffs Revier“ mit, zuletzt war er in „Tatort“-Folgen zu sehen. „Mit dem Zurückliegenden habe ich abgeschlossen“, sagt er: „Vom Fernsehen lässt man sowieso sofort wieder los. Man befindet sich drei Wochen in einem Drehzustand mit Kollegen, die man später nur noch auf Partys trifft.“ Und zu den Partys sei er eh nur gegangen, „weil man immer dachte, da bekommt man die großen Angebote. Aber das stimmt ja gar nicht.“
In Berlin hatte der gebürtige Paderborner, Jahrgang 1948, bei Peter Stein an der Schaubühne angefangen. Er gehörte zum harten Kern der alten Schaubühne. „Wir waren wie in einem Kloster in der Schaubühne, von morgens bis spätabends“, sagt er: „Ich habe den Eindruck, man hat sich früher intensiver mit den Dingen beschäftigt. Von Anbeginn der Produktion bis zum Ende. Man vertrat als Schauspieler das Projekt stärker.“
Am Renaissance-Theater hat sich Wameling im September mit der 432. Aufführung des Dauerbrenners „Kunst“ verabschiedet. „Ich muss im Moment überhaupt kein Theater machen. Das interessiert mich immer weniger. Mich interessiert die Musik.“ Er habe seinen Beruf reduziert auf möglichst Lesungen mit Musik, Hörbüchern oder Lesungen überhaupt. „Es macht mir großen Spaß, mit Musik zu arbeiten. Gott sei Dank werde ich auch zu vielen solcher Projekte eingeladen.“
Der Vater stellt vor die Wahl: Instrument oder Laientheater
Leider spiele er kein Instrument, sagt er: „Mein Vater hat mich vor die Frage gestellt: Instrument oder Laienspieltheater? Ich hatte mich fürs Theater entschieden. Aber die Musik habe ich immer geliebt. Ich habe eine riesige Schallplattensammlung, überwiegend Klassik.“ Vor allem die Alte Musik hat es ihm angetan. Er liebe Monteverdi, Bach natürlich. Mahler war für ihn eine Entdeckung. „Ich stieß auf Wagner und konnte jedes Jahr in Bayreuth Vorstellungen besuchen. Mit Freunden wohnen wir nahe Bayreuth in einem kleinen Schlösschen. Es ist ein richtig anstrengender Wagner-Urlaub.“
Wir streifen das Thema der Linkslastigkeit des Theaters. Für Wameling ist das eigentlich keine Frage, weil man immer gegen irgendetwas Etabliertes sei. Aber es sei ein immer wieder belasteter Begriff, sagt er und nennt ein kurioses Beispiel. „Wenn ich in der Operette den amerikanischen Botschafter spiele und sage, dass auf uns Amerikaner Verlass ist, dann ist das heute ein politischer Satz, obwohl das Herr Abraham gar nicht gemeint hat.“ Aber plötzlich wird die alte Operette topaktuell. „Man kann Texte daraufhin abklopfen und ein bisschen hinrüsten. Manche Inszenierungen machen das, und ich finde das okay.“