Berlin. Im Supermarkt der Popkonserven stünde die Produktlinie von Lily Allen sicherlich im gehobenen Segment. Die britische Sängerin wurde einst über Myspace bekannt und ist seit über einem Jahrzehnt im Geschäft. In dieser Zeit behielt sie weitgehend die Balance zwischen publikumswirksamen Tabubrüchen und mainstreamtauglicher Musik. Und trotz Promi-Leben ist sie eine ziemlich sympathische Skandalnudel geblieben, eine nicht immer tiefgründige, aber doch glaubwürdige Musikerpersönlichkeit.
Allen ist auf Tournee mit ihrer vierten Platte „No Shame“. Deren Titel ist so programmatisch wie der erste Song darauf, mit dem auch das Konzert am Dienstagabend im Astra in Friedrichshain beginnt. „Yeah, I'm a bad mother, I'm a bad wife / You saw it on the socials, you read it online / If you go on record saying that you know me / Then why am I so lonely? 'Cause nobody fucking phones me” heißt es in dem Stück „Come On Then”.
Hier steckt alles drin, worum es auf dem neuen Album geht: Einerseits zieht Allen wieder einmal die etwas abgedroschene Masche ab, die schrecklichen Schattenseiten des Rockstarlebens zu beklagen. Andererseits ist das neue Album eine große Auseinandersetzung mit ihrer gescheiterten Beziehung, ihrer Scheidung und ihrem Dasein als alleinerziehende Mutter.
Sie trägt eine Mischung aus Pluderhose und Schottenrock
Mit dieser Rolle kokettiert sie auch auf der Bühne ganz offen, wenn sie Songs wie „Three“, geschrieben aus der Perspektive ihrer Töchter, oder ein Cover der Sängerin Lykke Li ankündigt. Ob ihre eigene Mutter wirklich in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Orgasms are a human right“ vorn im Publikum steht, lässt sich in den hinteren Reihen aber leider nicht eruieren.
Allen stakst auf turmhohen Highheels herum, was ihre Sichtbarkeit verbessert, denn sie ist eine ziemlich kleine Person. Ihr Dress lässt sich als Mischung aus Pluderhosenanzug und Schottenrock beschreiben, die blondierte Cyborgfrisur ist von einem Dutt gekrönt. Nach dem dritten Song plaudert sie erstmals ein bisschen, was sie gern tut, und freut sich über den randvollen Club und den warmherzigen Empfang.
Mit ihr auf der Bühne stehen zwei junge Musiker, die sich hier einmal eine Gitarre umhängen und da einmal eine E-Pianopassage spielen, ansonsten aber hauptsächlich Knöpfe bedienen, mit dem „Abfahren“ von Songs und Sounds beschäftigt sind. Keine richtige Band, aber die wäre auch sinnlos bis undenkbar bei dieser Sorte von vorgefertigtem, glattproduziertem und sattgemastertem Dance-Pop.
Kein Raum für spontane Einlagen
Die auf Perfektion getrimmten Tracks lassen keinen Raum für spontane Einlagen und sind so kurz, wie Radio-Edits von Hits à la „Smile“ oder „Not Fair“ eben sein müssen. Daher hat das Konzert trotz ausreichend langer Setliste keine Überlänge. Eine gute Stunde ist Allen auf der Bühne, bevor sie mit der Zugabe den letzten Akt eröffnet.
In diesem recken sich eine Unzahl ausgestreckter Mittelfinger gen Bühne. Nicht etwa, weil Allen sich den Unmut ihrer Fans zugezogen, sondern weil sie im Gegenteil ihren größten Hit „Fuck You“ bis zum Schluss aufgehoben hat. Dieses Mal will sie ihn nicht Donald Trump, sondern Theresa May widmen und mit ihr allen, die den Brexit verbockt haben. „We hate what you do / and we hate your whole crew” - passende Worte aus gegebenem Anlass, was den Applaus in Berlin noch einmal tüchtig aufbrausen lässt.
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