Berlin. Am Anfang ist es nur eine kleine Flamme, eine Projektion auf dem Rücken eines Mannes. Als sei das Feuer nur eine Möglichkeit und nichts Reales. Dann greifen die Flammen auf das Dorf über. Brennen es nieder. Aus dem Off hört man noch die Stimme des Mannes, der sich darüber wundert, dass er eine Schachtel Streichhölzer in seinen Händen hält. Die Bewohner treibt eine Sorge um: Der Schlossturm ist abgebrannt. Dadurch konnte der Wilde entkommen, der dort im Käfig eingesperrt war.
Archaisch mutet der Auftakt von „Dreamer“ an
Das Stück vom Theater Anu feierte am Rande des Tempelhofer Feldes seine Premiere. Hier ist auf einem etwa Fußballfeld-großen Areal ein Dorf entstanden. Nicht mit einzelnen Häusern, sondern mit verschiedenen Stationen. Einem Parcours gleich, auf dem die Zuschauer den Schauspielern folgen. Tagsüber macht das Dorf nicht viel her, doch abends erwacht es durch poetische Illuminationen.
Ausgeheckt haben den reizvollen Mix aus Theater, Licht- und Soundeffekten Bille und Stefan Behr. Ihre Berliner Compagnie ist spezialisiert auf poetisches Theater mit atmosphärischer Bildersprache. Die hat viele Fans. Etliche Zuschauer sind mit Sitzkissen oder Stühlen bestens präpariert für den Open-Air-Abend. Stühle sind jedoch hinderlich bei der Jagd übers Gelände. Die Dorfbewohner beschließen nämlich, den Wilden wieder einzufangen. Sie wirken urtümlich. Bis auf den Sohn (Markus Moiser) im eleganten Anzug, den seine Mutter (Bille Behr) in den leeren Käfig sperrt. Weil der Wilde hinter ihm her sei, sagt sie. Ein Zeremonienmeister im Frack erklärt dessen Wesen: Eine kollektive Imagination der Gesellschaft zwecks gemeinsamer Jagd.
Publikum wird Teil des Theaters
Ein weites Feld, in das die Macher ihr Stück gegossen haben. Es geht um Wildheit unter der zivilen Fassade, aber auch um den Mann von heute und die Erwartungen an ihn. Zwischen Schloss und einem Phallusthron entspinnt sich indes eine fantastische Geschichte, die alle Theorie verblassen lässt. Das Publikum wird nebenher zum Teil des Dorfes. Dazu gibt es wunderschöne Theaterbilder – plakativ und hübsch verrätselt. Wie das Stück, das zwischen Traum und Wirklichkeit changiert.
Nicht alles, was geschieht, können sich die Dorfbewohner erklären. Etwa die Hasenplage. Immerhin beleuchten die mit unzähligen LED-bestückten weißen Origami-Hasen das Areal und geben ihm einen märchenhaften Touch. Einen Effekt, der die Inszenierung noch authentischer macht, hat die Compagnie nicht vorhergesehen: Der Wind vor einem aufkommenden Gewitter peitscht durch die Bäume, während Blitze den Himmel erhellen. Ein Teil der Zuschauer verlässt das Dorf bei den ersten Tropfen. Aber alle sind sich darin einig, dass sie wiederkommen werden zum einzigartigen Theater Anu.
Theater Anu, Tempelhofer Feld, Haupteingang Columbiadamm 124, Neukölln. Nächste Termine: 11., 12., 16.–19.8. je 21.30 Uhr