In Annika Scheffels neuem Roman „Hier ist es schön“ will die Menschheit noch einmal durchstarten – auf einem anderen Planeten

    Die Erde ist in Annika Scheffels neuem Roman am Ende. Allein der Blick in den Weltraum ist auch keine Lösung. In einer ziemlich nahen Zukunft, vielleicht auch in einer parallelen Wirklichkeit, scheint die Sonne nicht mehr in unserer Welt, oder besser, die Strahlen kommen einfach nicht mehr auf der Erde an. Städte veröden, die Wirtschaft bricht zusammen, die Nahrung wird knapp und freudlos, verödete Tankstellen werden zum Symbolbild der eingestellten Mobilität, es herrscht überall Stillstand, die Luft ist schwer.

    Ein klares One-Way-Ticket, Rückkehr ist ausgeschlossen

    Klimawandel, Atomkrieg, so genau weiß man nicht, was da passiert ist, aber hey, es ist 2018, und jede Form der Endzeitstimmung schockt wirklich keinen mehr. Gute Voraussetzung also für den Roman „Hier ist es schön“ von Annika Scheffel, für den sie in unvollendeter Manuskriptform vor drei Jahren den Robert-Gernhardt-Preis bekommen hat, und der jetzt vollständig vorliegt. Die Dystopie ist eine Art „Hunger Games“ für Suhrkamp-Leser, die viele Fragen aufwirft und die meisten davon nicht beantworten will.

    Scheffel, Jahrgang 1983, die mit ihrer Familie in Berlin lebt, ist studierte Theaterwissenschaftlerin und hat sich bereits in ihrem Roman „Bevor alles verschwindet“ mit Situationen auseinandergesetzt, in denen Menschen ihre vertraute Umgebung verlieren und Abschied nehmen müssen.

    In dieser Geschichte ist es die sechzehnjährige Irma, die einem Castingaufruf im Fernsehen für eine Mission ins Weltall zu einem ungenannten Planeten folgt, wo die Menschheit noch einmal durchstarten soll. Es ist ein klares One-Way-Ticket, die Rückkehr ist ausgeschlossen. Genretypisch ist der demokratische Rechtsstaat außer Kraft gesetzt, ein paar Menschenrechtler demonstrieren noch hier und da. Ein profitorientiertes Unternehmen verantwortet die Operation. Ob dessen Name, Carpe diem, nutze den Tag, bedeutungsschwanger oder zynisch gemeint ist, muss sich erst herausstellen.

    Eltern und Freunde sind entsetzt, aber stoppen können und wollen sie Irma auch nicht, und so müssen sie miterleben, wie sie Runde über Runde eines gefährlichen aber nicht genau spezifizierten Auswahlverfahrens übersteht. Am Ende soll sie mit Sam, einem weltfremden Wesen mit technologischen Superkenntnissen, die Mission antreten. Ist Sam Mensch, Maschine oder beides? Man weiß es nicht. An einen Hund erinnert er sich und daran, wie er ihn verliert. Irma hätte einen anderen Kandidaten zur Neubesiedlung des Planeten gewählt, und auch Sam scheint, wenn überhaupt, dann eher homo-, denn heterosexuell, aber für die große Mission, die Menschheit zu retten, ist das unerheblich.

    Die Konsequenz, mit der Irma ihr Ziel verfolgt, irritiert allerdings nicht nur ihr fiktionales Umfeld, es lässt auch den Leser einigermaßen ratlos zurück. Klar, es geht um Zukunftsangst, um Erwachsenwerden in einer Zeit der kompletten Unsicherheit, um selbstbestimmtes Leben oder die leichtere Entscheidung, sich in ein völlig von außen gelenktes System zu begeben. Die eigentliche Mission wird erst zehn Jahre später starten, eine Zeit, die Irma und Sam zusammen in Abgeschiedenheit verbringen und sich doch nicht nahekommen. Es gibt viel zu lernen für die beiden, zum Beispiel wie man selbst Kinder entbindet. Aber gibt es keine Zeit zum Nachdenken, zum Zweifeln, zum Vermissen? Ihre alten Freunde heiraten, bekommen Kinder, doch das konventionelle Leben, das ein ehemaliger Freund führt, „treibt sie von hier weg“, denn: „das machen doch seit Ewigkeiten alle so.“ Irma will nicht aus Liebe, sondern aus „biologischer Notwendigkeit“ Kinder bekommen. „Wenn sie das erledigt haben, können sie weitermachen“. „Sie sind dem großen Ganzen verpflichtet und sonst eigentlich niemandem.“

    Die Geschichte liest sich wie eine Netflix-Serie

    Der Roman setzt nach den zehn Jahren wieder ein, es ist Zeit, die Erde zu verlassen. Adam und Eva sollen auf den Mars. Doch Sam dreht durch, flüchtet, will die Welt erst sehen, bevor er sie verlässt, will zu „der Insel“, einer Art Paradies, das es gerüchteweise irgendwo geben soll und vielleicht einfach nur unsere Welt mit Sonne und vor der Katastrophe symbolisiert. Irma folgt ihm, begleitet den Lebensuntüchtigen, kehrt sogar kurz nach Hause zurück, wo ihre Mutter gar nichts mehr mit ihr anfangen kann, weil sie inzwischen mit einem Erinnerungsbild ihrer Tochter und nicht mehr der wahren Irma aus Fleisch und Blut lebt. Das ist eine der traurigsten Stellen des Romans, die Unfähigkeit zur Interaktion dieser beiden, das Absterben der Menschlichkeit, die es doch hier eigentlich zu retten gilt.

    Die Suche nach der Insel wird zum trostlosen Roadtrip. Irma und Sam sind aus dem Fernsehen berühmt, werden überall erkannt. Irmas alter Freund scheint nicht die Wahrheit über sein Leben zu sagen, irgendwie scheint der ganze Ausbruch fingiert. Sie werden beschützt und doch verfolgt, denn bald soll „die Fähre“ nach oben losgehen. Die Mission braucht zur Sinnstiftung den Weltuntergang, die Menschen, die auf der Erde bleiben, brauchen die Mission als Hoffnungsschimmer, dass es dennoch irgendwie weitergehen wird. Reality-TV, die Massenmedien haben in dieser Welt eine zentrale Funktion.

    Scheffels Roman spart nicht an Trostlosigkeit und versöhnt mit der Welt, wie sie in all ihrer Schönheit heute noch immer ist. Die Geschichte liest sich dabei wie eine der zahlreichen dystopischen Netflix-Serien, in denen auch erstmal nichts wirklich erklärt wird, die ihre Zuschauer aber dennoch vor allem atmosphärisch in ihren Bann ziehen. Anders als in den TV-Serien wird es hier aber wohl keine zweite Staffel, keine Aufklärung, keine nachgereichten Erklärungen und kein richtiges Ende geben.