Das ist die Geschichte von Claudio und Cecilia. Er lebt in New York, sie in Paris, die beiden lateinamerikanischen Immigranten werden sich spät im Buch kennenlernen und auch kurz verlieben, aber da haben sie den Zeitpunkt für die große Liebe schon längst verpasst. Claudios Jugendliebe hat sich umgebracht, und Cecilias Freund geht es auch nicht viel besser. So betrachtet, ist der Roman „Nach dem Winter” der mexikanischen Schriftstellerin Guadalupe Nettel eine Festschrift für Nekrophile. Beide sind auf interessante Weise kommunikationsgestört, einsam, aber dabei nicht unglücklich. Cecilia, eine bummlige Studentin, lernt ihren späteren Freund kennen, weil er ihr Nachbar ist und das ständige Radiogedudel nicht mehr ertragen kann.
Dubioser, folglich interessanter, ist Claudio, ein Mann von 42 Jahren, der manisch seinen Alltag regelt. Nichts überlässt er dem Zufall, er wolle ein Roboter sein, schreit er in einem seiner wenigen Ausbrüche seinem Begleiter aus mexikanischen Zeiten entgegen. In seiner Zwanghaftigkeit, seinem Materialismus und vor allem an der – zuweilen wirklich komischen – Diskrepanz zwischen der Selbst- und der Fremdwahrnehmung erinnert er an Patrick Bateman in „American Psycho”, nur dass er wenig Interesse am Zerstückeln von Frauenkörpern hat.