Kultur

Bill Murray krakeelt ungeniert in der Philharmonie

| Lesedauer: 3 Minuten
Peter Zander

Der amerikanische Filmkomiker als Rezitator und Sänger

Bill Murray in der Philharmonie? Und singen soll er auch? Der Mann ist ja bekanntlich im Kino zu Hause. Und der große Stoiker unter den Filmstars. Der kaum etwas sagt und keine Miene verzieht. Manche nennen das Gesichtsvermietung. Aber Murray hat es damit weit gebracht, zum Komiker und seit „Lost in Translation“ auch zum Charakterdarsteller. Das letzte Mal war der Meister des Minimalismus im Februar in der Stadt, auf der Berlinale. Nun offenbarte er am Freitagabend ganz andere Seiten von sich.

Er ist schon da, bevor er kommt. Murray lässt es sich nicht nehmen, selbst die Ansage zu sprechen, man möge bitte das Handy des Nachbarn ausschalten. Eine Stimme von oben, gottgleich. Das gefällt ihm sicher. Dann kommt er, Hahn im Korb, auch das genießt er sichtlich, mit zwei jungen Musikerinnen am Arm: der Geigerin Mira Wang und der Pianistin Vanessa Perez. Später kommt noch Cellist Jan Vogler dazu. Den hat Murray auf einem langen Flug kennengelernt. Sie wurden Freunde, irgendwann kam die Idee zu einem gemeinsamen Abend. „Bill Murray, Jan Vogler & Freunde“ heißt das Projekt. Dresden durfte es schon im letzten Jahr kennenlernen, denn Vogler leitet die Dresdner Musikfestspiele. Jetzt kommt es, als Gastspiel, auch nach Berlin.

Und das geht so: Murray steht in schwarzem Anzug und Sneakers am Pult und rezitiert amerikanische Klassiker. Hemingway, Walt Whitman, James F. Cooper, Mark Twain. Eine Art „American Textbook“. Vogler und die Damen kontern mit klassischer Musik, mit Bach und Schubert, aber auch Astor Piazzolla. Klingt nach verkopftem Konzeptabend. Wenn die Musiker spielen, setzt sich Murray schon mal hinters Klavier. Das ist sehr sympathisch, weil er den Musikern Raum gibt, obwohl jeder hier nur seinetwegen gekommen ist. Aber irgendwie erwartet man auch immer, dass der Komiker ins Klavier kriechen müsste.

Allmählich drehen die vier auf. Murray witzelt, auch die Musiker treiben Schabernack. Und dann trifft man sich bei Gershwin, „It Ain’t Necessarily So“. Das rezitiert Murray nicht, das krakeelt er zum Jauchzen des Publikums. Und das darf auch gleich mitsingen.

Jetzt haben sich die Künstler warm gemacht. Immer öfter, immer ungenierter singt der Filmstar auf der Bühne, auf der sonst Opernsänger brillieren. Obwohl er das hörbar nicht kann. Nicht je-den Ton trifft. Und die Höhen einfach umschifft. Aber er macht das mit Witz wett. Irgendwann zieht Murray das Jackett aus, steht nun im bunten Hemd da. Der Komiker gibt sich zu erkennen. Der Abend hat mal was von einem Märchenonkel, der einem ganzen Saal Gute-Nacht-Geschichten vorliest, mal von einem Karaoke-Abend. Wie in „Lost in Translation“. Nur kommt die Musik nicht vom Band, sondern von exzellenten Musikern.

Höhepunkt ist ein schräges Medley aus der „West Side Story“, wo der 67-Jährige bei „I Feel Pretty“ tänzelt und „America“ zum Statement gegen Donald Trump wird. Da ist er dann bei der amerikanischen Seele von heute angekommen. Murray hat in der Philharmonie mehr Text als in fünf Filmen. Der Abend nimmt, das ist völlig unamerikanisch, kein Ende. Auch nach zwei Stunden ohne Pause bringt der Star noch einen und noch einen Text. Von wegen Minimalismus. Murray scheint nicht genug davon zu bekommen, in einer solchen Stätte der Hochkultur Ovationen zu ernten.