Sonderausstellung

Du bist, was du isst

| Lesedauer: 5 Minuten
Gabriela Walde

Foto: Paul Gong/Andrew Kan / BM

Das Kunstgewerbemuseum thematisiert mit der Ausstellung „Food Revolution 5.0“ Fragen unserer Ernährung. Zu essen gibt es nichts.

Leichtes Augenzwinkern, denn oben auf der sonst unwirtlichen Piazzetta vor dem Kunstgewerbemuseum am Kulturforum blühen lauter Apfelbäumchen. Wer zählt, kommt auf die Zahl 80. Plötzlich wirkt es hier nett und sogar kommunikativ, zumal einzelne Sitze an den Kübeln angedockt sind. Dass die Bäume hier auf dem grauen Betonboden Blüten treiben, hat damit zu tun, das ihre Wurzeln in mobilen Holzkübeln stecken und – am Tropf mit Wasser und Dünger hängen. Diese urbane Streuobstwiese stammt vom niederländischen Designer Ton Matton, zum Erntedankfest, scherzt er, werde es eine Apfelkuchenparty geben. Versprochen!

40 Designer bespielen drei Etagen mit vier Themen

Matton gehört zu den 40 Designern und Künstlern der Ausstellung „Food Revolution 5.0“ im Kunstgewerbemuseum. Sie ist auf drei Etagen in vier Themen gegliedert: Farm, Markt, Küche und Tisch. Nun sollte man sich diese Revolution nicht gleich ganz groß denken, sondern als Aufforderung verstehen, sich im eigenen Leben, im Umgang mit Nahrungsmitteln einmal zu überprüfen. Dabei, sagt Kuratorin Claudia Banz, solle die Schau weder „traurig“ noch „moralisch“ sein, sondern eher Möglichkeits- und Denkräume öffnen. Wie ernähren wir uns morgen? Da immer mehr Menschen in Großstädten leben werden, ist „Urban Gardening“ eine Alternative. Viele der vorgestellten Projekte bewegen sich im Utopischen, wie gesagt, es geht um Ideen und Versuchsanordnungen.

Nur: Nüchtern sollte man nicht in die Schau gehen, sie schlägt ein wenig auf den Magen. Und zu essen gibt es übrigens nichts. Hier gibt es Futter für den Kopf. Immerhin, eine Kräuterernte für den Salat ist möglich, ein „essbarer Garten“ auf der Terrasse des Museums darf genutzt werden. Wer in diesen Räumen einmal ernsthaft über Nahrung nachdenkt, ist schnell bei wenig appetitlichen Themen: Hunger in der Welt, Ressourcenknappheit, Verschwendung, Klimawandel, ja, auch Magersucht gehört dazu. Natürlich darf man auch lachen über das Wellness-Huhn mit Headset.

Du bist, was du isst. Essen ist längst zum Politikum geworden. Egal ob Superfood, Molekularküche oder vegan, die Wahl der Nahrungsmittel beschreibt heute oft eine Haltung, zuweilen fundamentalistisch ausgelebt, aber das ist eine ganz andere Sache. Ein Thema, das viele, viele Bücherregale füllt. „Guerilla Gardening“ ist längst kein Kampfbegriff mehr, „Fooddesign“ gehört in Großstädten zum guten Stil, die offene Küche ist das neue Wohnzimmer. Selbst der Wechsel von Tellern und Besteck folgt schnelllebigen Fashiontrends. Die Fakten dazu: Laut Welternährungsorganisation verschwenden wir rund 1,3 Milliarden Tonnen jährlich an Lebensmitteln. Weltweit aber leidet knapp eine Milliarde Menschen an Hunger.

Die Schweizer Designerin Andrea Staudacher liebt Fleisch, sie weiß, dass sie damit den Klimawandel befördert. Das führte bei ihr zum Selbstversuch, sie lernte das Schlachten. Ein Schwein zerlegt man in 66 Teile, von der Zunge über den Magen bis zur Lunge. Die Organe hat sie in einzelne transparente, ästhetisch durchaus ansprechende Silikonwürfel gegossen. Die blutfreie „In­stallation“ zeigt uns, wie weit weg wir von der Tierhaltung sind, wie entfremdet vom Produkt selbst. In Bern unterhält Staudacher ein „Future FoodLab“, wo sie Neuigkeiten im Nahrungsbereich vorstellt. Dazu zählt ihr Insektendinner, richtig gelesen! Seit Heuschrecke, Mehlwurm und Grille im EU-Lebensmittelgesetz aufgenommen sind, steht dem Verzehr eigentlich nur noch unser Ekel im Kopf im Wege.

Insekten sind das Superfood von morgen

Carolin Schulze hat dafür einen „Falschen Hasen“ kreiert – er wird aus einer Mehlwurmpaste mithilfe eines 3-D-Druckers produziert und sieht auf dem goldumrandeten Teller aus wie eine konventionelle Portion Fleisch. Ihre Rechnung dabei: Aus zehn Kilo Futtermittel kann man ein Kilo Rindfleisch gewinnen – oder aber neun Kilo Insektenfleisch. Für diese „progressive Arbeit“ erhielt sie vor drei Jahren einen Preis des Bundesumweltministeriums. Die Industriedesignerin bezeichnet die Gliederfüßler als das neue Superfood, auch weil sie proteinhaltig sind. Nun ja, eine Insektenfarm für den Hausgebrauch gibt es via Internet.

Apropos Zukunft: Für den spanischen Essensgott Martí Guixé geht alles in Richtung „Digital Food“. Mittels einer Analyse individueller Daten über Vitamine und Nährstoffe, eingespeist in einen 3-D-Drucker, produziert jeder nach Bedarf sein eigenes Menü. Was da an farbigen, vorerst noch künstlichen Häppchen im Kunstgewerbemuseum aufgetischt wird, sieht gar nicht mal so schlecht aus.

Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz, Kulturforum. Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sbd./So. 11–18 Uhr. Bis 30. September. Katalog: 14 Euro