Berlin. Einen Fuchs und ein Wildschwein hat sie im Garten des Brücke-Museums schon gesichtet, ein ganz anderes Ambiente, als sie es vom Hamburger Bahnhof gewöhnt ist. Dort war sie Kuratorin. Seit ihrem Amtsantritt als Direktorin im letzten Oktober macht Lisa Marei Schmidt viele, viele Entdeckungen im Haus. Erst vor einigen Tagen fand sie im Keller einen Schirmständer. Nicht irgendeinen, sondern von Werner Düttmann, Architekt des Hauses und ehemaliger Senatsbaudirektor. Er verantwortete nicht nur den lichtdurchlässigen Bau im Grunewald, sondern auch die Inneneinrichtung, die Eichenmöbel und Vitrinen. So hat er es auch mit der Akademie der Künste gehalten. Der Ständer wird ihm zu Ehren einen neuen Platz im Brücke-Museum erhalten. Schmidt hat ein Düttmann-Faible, ohnehin erlebt die Architektur der 60er-Jahre gerade eine Renaissance.
Die letzten Monate hat sie sich nicht nur mit der Sammlung der Künstlergruppe „Brücke“, sondern auch intensiv mit der Geschichte des Hauses beschäftigt. Sie möchte die „Wertigkeit der Architektur“ stärker in den Fokus nehmen. Das Potenzial sei noch nicht ausgeschöpft, findet die Kunsthistorikern. Sie stieg ins Depot, sprach mit Zeitzeugen, im Archiv sichtete sie Baupläne, Korrespondenzen, Fotos, alles, was mit dem Museums zu tun hat, das im September 1967 eröffnete.
Das Ergebnis ist nun in ihrer Auftaktausstellung „Ein Künstlermuseum für Berlin“ zu sehen, eine Hommage an die Gründerväter, den Künstler Karl-Schmidt-Rottluff, den Gründungsdirektor Leopold Reidemeister und Werner Düttmann. Dabei rekonstruierte sie die erste Sammlungspräsentation, die Reidemeister damals konzipierte. Von ihrem Bürofenster am Bussardsteig fällt ihr Blick hinüber auf das Kunsthaus Dahlem, das ehemalige Atelier von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker. Auf dem jetzigen „Brücke“-Standort sollte einmal Brekers repräsentative Villa entstehen.
Die Fenster geben den Blick frei auf die Natur
Das Haus hat nach nur wenigen Monaten unter ihrer Leitung eine tolle Verjüngungskur hinter sich. Neuer Auftritt, neues Logo – der Kultursenator erhöhte das Budget für die nächsten Jahren. Schmidt entschlackte das „architektonische Schatzkästchen“ von vielen nicht originalen Einbauten, entfernte den Bohnerwachs von den gebrannten Bodenfliesen, durch die einst verhangenen Fenster strömt nun wieder Licht von draußen hinein. Sie geben den Blick frei auf den Garten, auf die Natur, so wie es von Düttmann beabsichtigt war und wie es Schmidt-Rottluff gefiel. Ihre Intention war der Dialog zwischen Architektur, Kunst und Natur. „Die Lichteinfälle sind überhaupt die Lösung und die Landschaft ist geradezu beglückend einbezogen“, schreibt der begeisterte Künstler kurz nach der Eröffnung 1967 an Düttmann. „Es müsste jeder Besucher für eine Weile dort froh werden.“
Heute gibt es transparente Folien für die Fenster, die die Kunst vor allzu viel Licht schützen. In den 60er-Jahren war man mit konservatorischen Maßnahmen noch nicht so streng. Das Zusammenspiel der beigen Kokosböden in den Ausstellungsräumen mit den strengen Eichenholzsessel und den olivgrünen Fensterrahmen zeigt, wie unkonventionell Düttmann mit Materialien und Farben umging - und wie modern er heute noch ist. „Jede Generation“, meint Lisa Marei Schmidt, „hat einen anderen Blick“.
Bei Fragen zu einzelnen Details half der Düttmann-Sohn, mit dessen Hilfe die Vitrinen nachgebaut wurden. Zu seinem 100. Geburtstag 2021 will Schmidt seinem Vater auf jeden Fall eine eigene Schau ausrichten.
In der Ausstellung sind die Hauptwände für die Gemälde von Erich Heckel und Schmidt-Rottluff reserviert, rot lodern dessen „Akte in den Dünen“ und „Deichdurchbruch“ im zweiten Raum. Nachlass und großzügige Schenkungen beider Künstler bilden das Fundament der heutigen Sammlung.
Den Anfang macht ein kleiner Grafik-Salon, er ist der Lithographie vorbehalten. In der Hängung gibt es Lücken an der Wand – eine bewusste Entscheidung Schmidts. Dort, wo es weder Informationen und noch Archivmaterial zu einzelnen Werken gibt, bleiben Leerstellen. An den Seitenwänden befinden sich Werke von Max Kaus, Otto Mueller und Anton Kerschbaumer. Lediglich drei Prozent des Sammlungsbestandes kann im Haus gezeigt werden. In den Ausstellungsräumen verstreut sieht man einzelne bunte Hockerchen der venezolanischen Künstlerin Sol Calero. Draußen, mitten im Garten steht ihre bunt leuchtende „Casa Isadora“. Inspiriert vom MUIM (Moderner Unterricht in Malerei), das Erst Ludwig Kirchner und Max Pechstein 1911 in Berlin gründeten. In den Sommermonaten werden hier Workshops und Veranstaltungen organisiert. Wer sich hier einmal hinsetzt, sieht, wie gut das Museum als Gesamtkunstwerk funktioniert.
Brücke-Museum, Bussardsteig 9, Mi-Mo 11-17 Uhr. Bis 12. August