Berliner Theatertreffen

Frank Castorfs „Faust“ ist wiederauferstanden

| Lesedauer: 3 Minuten
Katrin Pauly
Martin Wuttke (l.) als Faust und Marc Hosemann als Mephisto

Martin Wuttke (l.) als Faust und Marc Hosemann als Mephisto

Foto: Thomas Aurin

Mit Frank Castorfs letzter großer Volksbühnen-Inszenierung eröffnet das 55. Theatertreffen im Haus der Berliner Festspiele.

Berlin. Am Freitag startete im Haus der Berliner Festspiele das 55. Theatertreffen, und als um Mitternacht das erste Gastspiel der zehn ausgewählten Inszenierungen beendet war, tobte der Saal. Eine Stimmung wie auf einem Rockkonzert – und nicht als habe man sich gerade sieben Stunden lang durch eine deutsche Gelehrtentragödie gepflügt, üppig angereichert um französische Kolonialgeschichte, um Auszüge aus Émile Zolas Kurtisanenroman „Nana“ und angesiedelt im schwülschwitzigen Rotlichtmilieu.

Das Theatertreffen mit Frank Castorfs „Faust“-Inszenierung zu eröffnen, war dramaturgisch schlau, ein Paukenschlag gleich zu Beginn. Aber auch eine logistische Notwendigkeit. Die Volksbühne, wo die Inszenierung im letzten Jahr Premiere hatte, stand für eine Wiederaufnahme nicht zur Verfügung. Castorf wollte das nicht, sein Nachfolger Chris Dercon hatte dort inzwischen versucht, das Ruder zu übernehmen, was mittlerweile ja auch Geschichte ist. Jedenfalls mussten 20 Tonnen zerlegtes Bühnenbild für das Haus der Berliner Festspiele adaptiert und neu zu Aleksandar Denićs mehrstöckigem Spelunken-Ensemble aufgebaut werden.

Das dauert, man konnte die spielfreien Tage vor dem Theatertreffen dafür nutzen. Und das kostet. Diese Inszenierung gehört zu den größten Gastspielen, die es je an den Berliner Festspielen gab. Die Senatsverwaltung für Kultur und die Lotto-Stiftung unterstützen das Projekt mit 500.000 Euro. Für insgesamt fünf Vorstellungen. Wozu Festspiele-Intendant Thomas Oberender in seiner Eröffnungsrede bemerkte: „Bei einer Oper würde sich niemand über die Kosten wundern.“ Ansonsten zeigte er sich sichtlich stolz auf die logistische Meisterleistung und dass die alte Volksbühne Ost zumindest für die Dauer des Theatertreffens in der alten Volksbühne West eine temporäre Heimat gefunden hat. Er endete mit: „Frohe Ostern! Der ‚Faust‘ ist wiederauferstanden.“

Der Abend ist am besten, wo er nah an Goethe bleibt

Dann legte das Volksbühnen-Allstar-Ensemble los. Valery Tscheplanowa als verruchte Margarete, Sophie ­Rois als Zeremonienmeisterin der Walpurgisnacht, Marc Hosemann als Mephisto, Alexander Scheer, Lars Rudolph, Lilith Stangenberg, Daniel Zillmann. Eine Reunion der Spielwütigsten des deutschsprachigen Theaterbetriebs. Und Martin Wuttke als Heinrich Faust natürlich, greisenhafter Lüstling, langhaariger Lebemann und am Schluss ein geschrumpfter Zwerg, der auf einem winzigen Dreirad seine Runden dreht, wobei immer wieder ein Algerien-Fähnchen auf ihn niedersaust. Der Abend ist am besten, wo er nah an Goethe bleibt, ein, zwei Stunden weniger Zola, Frantz Fanon und Kolonialgeschichte wären sehr okay gewesen, aber egal, am Ende waren alle glücklich.

Bis auf einen vielleicht. Bei der anschließenden Preisverleihung nahm Frank Castorf die Trophäe eher emotionsneutral und trocken mit den Worten entgegen: „Da wird sich meine Mutter freuen.“ Und bemerkte dazu, Theater sei auch schön, weil und wenn es sich in der Erinnerung abspiele. Da hat einer seiner Stadt den rüden Umgang noch nicht verziehen und betonte deshalb anspielungsreich, wie toll es ja auch in München sei. Oder in Stuttgart.