Erneut hat US-Bariton Thomas Hampson im Boulez-Saal einen lange geplanten Liederabend abgesagt – die Frau der Stunde ist somit Sopranistin Patricia Petibon, die kurzfristig mit ihrer Pianistin Susan Manoff einspringt und ein ausgefeiltes Programm präsentiert. Was Petibon und Manoff an stimmlicher und stilistischer Vielfalt zeigen, ist außergewöhnlich – die Musikalität der Pariser Künstlerinnen ist so offen und durchlässig, dass sie bruchlos pantomimische Aktionen mit einbinden und auch vor Slapstickeinlagen nicht haltmachen.
Für Patricia Petibon muss die spontane Stippvisite in Berlin große Mühe bedeuten: Petibon, erfahren Nicht-Eingeweihte erst bei der Zugabe, ist die Ehefrau des großen Jazzgeigers Didier Lockwood, der vor zwei Monaten mit 62 Jahren überraschend starb. Solches oder Ähnliches ahnt man in Augenblicken des Konzerts. Die Leichtigkeit, mit der die Sopranistin etwa Klavierstücke von Yann Tiersen pantomimisch begleitet, ist inszeniert – zum ausdrucksstarken Klavierspiel von Susan Manoff geht alles professionell reiz- und fantasievoll über die Bühne, und doch vermutet man hinter dem geschminkten Antlitz der schlanken rothaarigen Sopranistin eine gewisse Schwermut.
Umso beeindruckender ist die Stimme – aus ihr gewinnt Patricia Petibon alle Energie, ebenso wie das Publikum. Klug wählten Petibon und Manoff, Klavierprofessorin in Paris, unmittelbare Vorläufer des französischen Chansons der Nachkriegszeit aus. Anders als diese sind sie noch im klassischen Kunstgesang verortet: Gerade Francis Poulenc von der innovativen Pariser „Groupe des Six“ nach dem Ersten Weltkrieg steht mit seinen „Chemins de l’amour“ („Pfade der Liebe“) hierfür Pate. Auch der musikalische Berufsrevolutionär Erik Satie wird von Petibon vergnüglich und mit Hippie-Sonnenbrille herbeizitiert. Seine Kurzsatire der Marseillaise mündet nach wenigen Tönen im Nichts.
Petibon ist stilistisch zu vielem in der Lage: Neben genuin Französischem beherrscht sie den großen tragischen Ton Puccinis und de Fallas und auch die vibratolos fahlen Klagetöne barocker Lamenti. Behaglich schmiegt sich die Sängerin im zweiten Teil mit Heitor Villa-Lobos’ „Nesta rua“ in Geste und Ton dem Klavier an, nachdem sich ihre Stimme zornig aufgebäumt hat und aus der Melancholie von Joseph Canteloubes „La delaïssádo“ ausgebrochen ist. Vielleicht ist genau dieses Aufbäumen die Geste, die eigentlich zur Stimmung von Patricia Petibon passt. In Berlin würde man sie gern in einem für sie passenderen Augenblick wieder hören.