Kultur

„Der Kuss fällt aus“

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Volker Blech

Die Berliner Primaballerina Polina Semionova tanzt die Titelrolle in „Romeo und Julia“. Und ist eindeutig romantischer als ihr Tanzpartner, wie ein Gespräch vor der Ballettpremiere offenbart

Die „Romeo und Julia“-Premiere am Sonntag soll ein Traum in Jasmin und Orange werden, verspricht das Staatsballett Berlin, die Kostüme von Angelina Atlagic sind im Stil der Renaissance gehalten. Das weltberühmte Liebespaar aus Verona wird von Polina Semionova und Ivan Zaytsev verkörpert. Das Tanzpaar macht allerdings einen etwas müden Eindruck, als es über die Straße zum Gespräch auf die Staatsoper Unter den Linden zusteuert. Für die beiden sind es Tage voller Proben. Für die Berliner Primaballerina Polina Semionova ist es zugleich ein weiteres Heimspiel. In der alten Staatsoper hat sie als junge, aus Moskau kommende Ballerina ihre ersten Karriereschritte gemacht. In Vladimir Malakhovs neugegründetem Staatsballett ist sie schließlich zum Star herangewachsen. Die gerade mal 33-Jährige trägt bereits den seltenen Ehrentitel „Berliner Kammertänzerin“.

Romeo und Julia sprechen Russisch miteinander

Die Tänzerin möchte die Fotos am liebsten im Apollo-Saal oder im plüschigen Rangfoyer machen. Der kleine Tross zieht also einmal quer durch die Staatsoper, vorbei an der Hauptbühne, wo gerade die Techniker die große Abendprobe vorbereiten. Romeo und Julia sprechen Russisch miteinander. Ivan Zaytsev stammt aus Krasnodar, in der südrussischen Großstadt hat er Tanz studiert. Dann wechselte er nach Petersburg, 2011 wurde er vom Ballett des Mikhailovsky Theaters verpflichtet. Dort haben er und Polina Semionova bereits „Romeo und Julia“ getanzt. Sie gehen vertraut miteinander um.

Er sei noch nicht in Verona gewesen, gibt Zaytsev zu. Der Urmythos der Liebestragödie ist mit der Casa di Giulietta verknüpft, es ist ein von Touristen überlaufenes Reiseziel und zugleich ein Sehnsuchtsort aller Romantiker. „Ich war vor gar nicht langer Zeit in Verona gewesen und mich hat die Casa di Giulietta sehr beeindruckt“, sagt Polina Semionova, „obwohl es in der Realität alles viel kleiner und beschaulicher ist als ich es mir vorgestellt hatte.“ Haus und Balkon aus dem 14. Jahrhundert sollen Shakespeare inspiriert haben.

Gerade die Balkonszene ist ein Höhepunkt der „Romeo und Julia“-Romanze und standesgemäß wichtig wie der Filmkuss in Hollywood-Schmachtfetzen. „Nacho Duatos Choreographie ist sehr speziell“, sagt Polina Semionova: „Er lässt keinen Kuss auf der Bühne zu. In der Probe hat er uns gesagt, es sei sein Lieblingsmoment, wenn Romeo und Julia zusammenfinden. Der Zuschauer weiß, dass jetzt ein Kuss kommt.“ Aber es geschehe hinter einer Wand, man sehe nur Romeos Hand. „Die Intimität des Kusses bleibt bei Duato geschützt. Ich finde es eine sehr schöne Idee.“

Ihr Ehemann hütet derweil den kleinen Sohn

Bleibt die Frage, was für Balletttänzer selbst der innigste Moment in der Choreographie ist? „Wahrscheinlich dieser Kuss“, sagt Zaytsev, „aber der fällt ja aus.“ Darüber muss er selber lachen. Ansonsten scheinen den Tänzer Fragen nach der Liebe, Innigkeit und Romantik eher zu langweilen. Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Das sei eine schwierige Frage, meint Zaytsev. Wohingegen Polina Semionova eine Antwort parat hat. „Für mich ist es keine Frage, ob es Liebe auf den ersten Blick gibt, sondern dass man an die Liebe glaubt.“ Gibt es nur eine große Liebe im Leben? „Ich denke, dass es die eine große Liebe fürs Leben geben kann“, sagt Zaytsev: „Aber ein Philosoph hat einmal gesagt, dass die Liebe nur für einen kurzen Moment bleibt, dann übernimmt der Kopf die Gefühle.“ Polina Semionova glaubt „schon an die Liebe für ein ganzes Leben.“ Ihr Ehemann Mehmet Yümak gehört zum Staatsballett, an diesem Nachmittag hütet er aber den gemeinsamen Sohn.

Prokofjews 1935 entstandene Ballettmusik ist anspruchsvoll. „Ich finde die Musik sehr schön und gar nicht so schwer zu tanzen, im Gegenteil, sie ist sehr motivierend“, sagt sie. „Alles ist wunderbar“, bestätigt er: „Außer der Balkonszene, die ist wirklich schwierig. Wenn ich die Musik höre, werde ich schon nervös. Und der schönste Moment ist, wenn die Kussszene wieder vorbei ist und ich weg kann.“

„Romeo und Julia“ ist die vorletzte Premiere der kurzen Amtszeit des umstrittenen Ballettchefs Nacho Duato. Gibt es bei den Proben eine Abschiedsstimmung? Polina Semionova, Principal Guest des Staatsballetts, überlegt kurz. „Ich kann nur sagen, dass ich sehr traurig bin, weil ich mit Nacho sehr gerne arbeite. Die Proben sind so schön, weil er so gute Sachen sagt und erklärt, was er mit welcher Bewegung ausdrücken möchte. Ich höre das von ihm sehr gerne.“ Mit seinem Nachfolger Johannes Öhmann, der im Sommer die Amtsgeschäfte übernimmt, hat sie bereits gesprochen. Viel will sie an diesem Tag nicht dazu sagen. Aber ja, es werde weitergehen. Es gibt bereits Pläne über die nächste Saison hinaus.

Staatsballett/Staatsoper Unter den Linden, Mitte, Tel.: 2060 92630 Termine: 29.4. (Premiere); 5., 13. und 26.5.; 12., 20. und 23.6.