Kultur

Übertreibungen mit einem hohen Unterhaltungswert

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Felix Stephan

Geigerin Julia Fischer spielt in der Philharmonie

Schade, dass die Geigerin Julia Fischer in Berlin so selten mit Orchester auftritt. Viel seltener jedenfalls als Lisa Batiashvili, die in den letzten drei Jahren hierzulande schon fast überpräsent war – und nebenbei übrigens eine gute alte Bekannte von Julia Fischer ist. Beide stammen nämlich aus der Talentschmiede der renommierten Münchner Pädagogin Ana Chumachenco. Und beide spielen jetzt im Abstand von nur sechs Wochen das D-Dur-Violinkonzert von Johannes Brahms in der Philharmonie – Lisa Batiashvili wird es Anfang Juni tun, mit dem Deutschen Symphonie-Orchester unter Robin Ticciati, Julia Fischer dagegen schon jetzt. Und zwar gemeinsam mit zwei weiteren seltenen Gästen: das Philharmonia Orchestra aus London und sein langjähriger Chefdirigent, der Finne Esa-Pekka Salonen.

Zügig sind die Tempi in Brahms‘ Violinkonzert, sonnig warm die Streicher und Bläser. Salonen lässt prägnant artikulieren, fordert einen schlanken, transparenten Brahms. Und dieser Brahms passt sehr gut zum schnörkellosen, hellwachen Geigenspiel von Julia Fischer. Ein Spiel, das in der Tempogestaltung zwar recht kontrolliert wirkt, aber durch Fischers Klangintelligenz und technische Souveränität trotzdem viel Freude bereitet – vor allem, weil Solistin und Orchester in den ersten beiden Sätzen so inspirierende Dialoge führen, sich so feinsinnig aufeinander abstimmen. Im Finale allerdings, da sind mitunter Fischers Grenzen zu spüren. Denn es gibt zwei Dinge, die ihr nicht liegen. Zwei Dinge, die bei diesem Satz von Vorteil wären: Großzügigkeit und tänzerische Flexibilität. Fischer bleibt distanziert in diesem Rausschmeißer-Rondo ungarischer Färbung, wirkt eckig in ihren Bewegungen. Da Salonen und das Philharmonia Orchestra diesen Satz aber mindestens ebenso eckig ausführen, könnte man das auch als bewusste künstlerische Entscheidung interpretieren. Eine Entscheidung, die allerdings dazu führt, dass dieses Finale ziemlich isoliert von den übrigen beiden Sätzen dasteht.

Viel verständlicher dagegen, was das Orchester mit Mahlers erster Sinfonie in der zweiten Konzerthälfte vorhat. Noch frischer und bündiger als im Brahms wirken hier Salonens Tempi. Doch wichtiger noch: die heftig zugespitzten Kontraste in Dynamik, Klang und Artikulation. Markerschütternd geräuschhaft fallen im Scherzo die Kontrabässe über die Hörer her, plakativ derbe preschen die hohen Streicher vor.

Dann plötzlich im Trio: weichster Flausch, süßeste Melancholie. Es sind Übertreibungen, die einerseits hohen Unterhaltungswert haben. Andererseits aber verstärken sie auch Mahlers musikalische Intentionen. Denn so sehr Salonen das Geschehen in Mahlers erster Sinfonie auch forciert – seine Zuspitzungen dienen stets der Musik und ihrer lebendigen Vermittlung.

( Felix Stephan )