Kultur

Im Strudel der Ereignisse

| Lesedauer: 5 Minuten
Elena Philipp

An der Volksbühne gastiert die Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker – als erste Gastkünstlerin nach dem Rückzug des Intendanten Chris Dercon

Bestehende Verträge mit Gastkünstlern der Volksbühne würden in jedem Fall erfüllt – und er werde die Eingeladenen willkommen heißen, versicherte der Interimsintendant und Geschäftsführer der Volksbühne Klaus Dörr nach Chris Dercons Demission. Wie es wohl ist, als Künstlerin im „Gespensterhaus“ am Rosa-Luxemburg-Platz zu gastieren? Erzählen kann das Anne Teresa De Keersmaeker. Die international renommierte Brüsseler Choreografin hat vergangene Woche ihr Bühnenstück „Vortex Temporum“ an der Volksbühne gezeigt. Ab heute läuft dessen Museumsversion, „Work/Travail/Arbeid“.

Frau De Keersmaeker, die Volksbühne hat in den vergangenen Wochen gewaltige Erschütterungen erlebt. Was haben Sie vom Berliner Theaterstreit mitbekommen?

Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen. Ich war nicht direkt involviert. Aber ich habe noch nie erlebt, dass öffentlich ausgetragene Streitigkeiten über eine Richtungsentscheidung solch eine extreme Form annehmen. Verstanden habe ich, dass kulturpolitisch kontroverse Entscheidungen geleugnet wurden. Und dass das Haus historisch sehr wichtig ist, als zentraler Ort für das, was nach dem Mauerfall mit der Stadt geschehen ist. Dass die Menschen emotional werden, kann ich nachvollziehen. Dennoch bin ich schockiert. Die Zerstörung war sehr gründlich. „Bösartig“, sagt man das so?

Wie beurteilen Sie selbst die Personalie Dercon?

Vielleicht brauchte die Politik einen Sündenbock. Aber ich fühle mich zu weit weg, um wirklich Position beziehen zu können. Was ich sagen kann, ist, dass Chris uns gegenüber von Anfang an mit offenen Karten gespielt hat.

Bislang waren Ihre Arbeiten in Berlin vor allem am Hebbel am Ufer (HAU) zu sehen. Wieso haben Sie das Haus gewechselt?

Mit meiner Kompanie Rosas gastierte ich erstmals vor 30 Jahren in Berlin, am Hebbel-Theater. Die Beziehung mit der Stadt war nie einfach. Verglichen mit Paris, London oder Brüssel ist es schwierig, hier Partner und eine geeignete Bühne für den Tanz zu finden. Das HAU und Rosas werden weiterhin loyal als Partner verbunden bleiben, aber die Bühnen dort sind für manche Vorstellungen einfach zu klein.

Für September ist eine große Premiere an der Volksbühne angekündigt, die „Brandenburgischen Konzerte“. Werden diese Verträge eingehalten?

Versprochen hat man uns das, ja, die Verträge sind unterzeichnet. Es sind sehr viele Menschen in dieses Projekt involviert. Rosas als Kompanie finanziert sich nur zu etwa einem Viertel über öffentliche Zuschüsse. Der Druck ist groß, aufzutreten, wir sind abhängig von Ko-Produzenten und langfristigen Partnerschaften – die Volksbühne ist das erste Berliner Theater, das uns jemals eine Ko-Produktion angeboten hat.

Hatten gehofft Sie, mit der Volksbühne einen stetigen Partner zu gewinnen?

Nun, die Haus-Choreografen an der Volksbühne sind Boris Charmatz und Mette Ingvartsen ... Im Moment ist unklar, ob es nach den „Brandenburgischen Konzerten“ weitere Zusammenarbeiten geben wird. Ich wünsche mir in jedem Fall, dass die Beziehung mit der Stadt und allen unseren bisherigen Partnern fortdauert.

Vielleicht sprechen wir noch über Ihre beiden Gastspiele: „Vortex Temporum“ und „Work/Travail/Arbeid“ werden in Berlin zum ersten Mal zusammen gezeigt – sie beziehen sich auch aufeinander ...

Ja, „Vortex“ ist für die Blackbox des Theaters entwickelt. „Work“ bricht diese Codes: Im Museum gibt es Tageslicht, Zeit und Raum sind flüssig, jeder Zuschauer macht eine individuelle Erfahrung und wählt eine eigene Perspektive. Die Essenz von „Work“ ist, „Vortex“ ‚aufzufalten‘ und zu zeigen, wie wir es erarbeitet haben.

Choreografiert ist „Vortex Temporum“ zur gleichnamigen Komposition von Gérard Grisey. In den Proben haben Sie seine Partitur Takt für Takt in Bewegung umgesetzt, die sieben Tänzerinnen und Tänzer sind jeweils einem Instrument des live spielenden Ictus Ensemble zugeordnet. Wie haben Sie die Theaterversion fürs Museum adaptiert – und wie bringen Sie die Museumsversion „Work“ wieder auf die Bühne?

„Vortex“ habe ich Stimme für Stimme choreografiert, es gibt sieben Bewegungspartituren. „Work“ macht die einzelnen Beziehungen deutlich. Im Studio bin ich damals schon um die Tänzer und Musiker herumgewandert. Das können jetzt auch die Zuschauer. Wir öffnen die Türen und lassen das Licht herein, die Zuschauer sind mit auf der Bühne, wo wir aus dem wandelbaren Bewegungsmaterial verschiedene Konstellationen bauen – Soli, Duette, Tutti.

Die Zuschauer werden Teil der spiralförmigen Bewegung im Raum, auf der die Komposition von Grisey wie auch Ihre Choreografie aufbauen?

Ja. Es war übrigens auch die Architektur, deretwegen ich an der Volksbühne zugesagt habe: die weiträumige Bühne und der wunderschöne weiße Rundhorizont … So schließt sich ein Kreis: von der Blackbox ins Museum und zurück ins Theater.

( Elena Philipp )