Theater-Kritik

Einmal um die Welt und doch nie vom Fleck wegkommen

| Lesedauer: 3 Minuten
Ulrike Borowczyk

„Reise um die Erde in 80 Tagen“ im Theater an der Parkaue

Im Londoner Reform Club ist es ein Muss, unermesslich reich und exzen­trisch zu sein. Doch selbst bei diesen verschrobenen Briten gilt Phileas Fogg als Sonderling. Sein Tag ist komplett durchgetaktet, sein Ehrgeiz Legende. So behauptet er, in nur 80 Tagen die Welt umrunden zu können. Anno 1872 eine irrwitzig kurze Zeit. Die Gentlemen im Club wetten, dass er es nicht schafft. Von sich überzeugt, setzt Fogg sein ganzes Vermögen dagegen und macht sich umgehend mit seinem Kammerdiener Passepartout auf den Weg.

Opulente Kulissen und prachtvolle Kostüme: So kennt man Jules Vernes Abenteuergeschichte „Die Reise um die Erde in 80 Tagen“. Egal, ob im 1873 erschienenen Roman oder in zahlreichen Verfilmungen. Auch die ersten Inszenierungen der Theaterfassung, die Verne mit Adolphe d’Ennery noch im Jahr der Buchpublikation schrieb, waren ungemein pompös. Daher ist es eine echte Überraschung, dass Volker Metzler seiner Inszenierung für Kids ab zehn, die gerade im Theater an der Parkaue Premiere feierte, einen völlig neuen Weg geht: Postapokalyptisch, laut, frech, aber mindestens so spannend wie das Original. Die Reisenden jetten hier auf der endzeitlich zerstörten Weltzeituhr um den Globus. Ohne sich nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen. Ein eher imaginärer Trip auf einer zerstörten Erde. Drumherum ein Meer aus Plastik. Statt exotischer Länder also Schäbigkeit, Dreck und Müll. Telegene Reisebilder sind lediglich auf winzigen Uralt-Fernsehern zu sehen. Auch die rasanten Videoprojektionen, die wie Tsunamis über die Bühne hinwegfegen, haben rein gar nichts von der pittoresken Gemütlichkeit, die man sonst mit Jules Vernes Globetrottern verbindet.

Fogg (Johannes Hendrik Langer), Passepartout (Jakob Kraze) und ihre drei Mitstreiter erzählen beiläufig von den Stationen ihrer Reise. Berühmte Szenen, wie etwa die von der Rettung der Maharani, sind reine Anekdoten. Stattdessen flimmern Bilder indischer Akkord-Näherinnen über die Bühne. Und das rein männliche Quintett erfindet reihenweise eigene Abenteuer, steigt in den Boxring, verkleidet sich mit Plastiktüten-Kostümen als besonders peinliche Touris und wird insgesamt immer exzentrischer. Mit seiner mitreißenden, fantasievollen Inszenierung konterkariert Metzler die kolonialistische Weltsicht Vernes, bietet nicht die x-te biedere Fogg-Revue, sondern Zivilisationskritik. Launig, bunt und sehr heutig verpackt für Kinder. Denn der Spaß kommt in keinem Fall zu kurz. Dafür sorgt allein schon das stark aufspielende Ensemble. Das singt und rappt, bis die Bude wackelt. Absolut urbanes, junges Theater!

Theater an der Parkaue, Parkaue 29, Lichtenberg, Tel. 55 77 52 52, Termine: 4.5., 11., 12., 26.6., 3.7. um 10 Uhr. Am 9.6. um 16 Uhr

( Ulrike Borowczyk )