Kultur

„Kino braucht Menschen, die eine Reise antreten“

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Alexander Soyez

Christian Petzold hat mit „Transit“ einen Film übers Exil gemacht. Der Berliner fühlt sich selbst oft wie ein Flüchtling

Flüchtlinge aus einer anderen Zeit. Christian Petzolds neuer Film „Transit“, der heute ins Kino kommt, basiert auf Anna Seghers gleichnamigem Exilroman aus den 40er-Jahren. Die Handlung allerdings spielt heute. Das hört sich nach Kopfgeburt und politischem Kommentar an. Für den Berliner Regisseur allerdings ging es dabei um etwas ganz anderes. Wir haben den 57-Jährigen zum Gespräch getroffen.

Eine nicht ganz ernst gemeinte, aber doch naheliegende Frage zuerst: Wo ist Nina Hoss, die doch sonst immer in Ihren Filmen dabei ist?

Christian Petzold: Bei den sechs Filmen, die ich mit ihr gemacht habe, wurde ich immer gefragt, warum ich ständig mit ihr arbeite. Jetzt mache ich mal einen ohne sie, und dann kommt diese Frage. (lacht) In den sechs Filmen, die wir zusammen gemacht haben, war sie immer wie eine Königin im Exil. Bei „Transit“ geht es auch um Exil. Aber Exil ist hier nicht das Anderswo oder das Gefängnis, sondern der eigentliche Lebensraum, in dem Menschen Trost und Glück erfahren. Insofern habe ich keinen Flüchtlingsfilm gemacht, sondern einen Exilfilm.

Also stand dahinter gar nicht die Idee, einen intellektuellen Kommentar zur aktuellen Flüchtlingskrise zu machen?

Nein, das war eine absolut sinnliche Idee. Und dahinter stand eher eine persönliche Motivation. Der Roman von Anna Seghers hat mich 20 Jahre begleitet. Und ich habe ja auch biografisch das Gefühl, ein Flüchtling zu sein. Meine Eltern waren Flüchtlinge. In der Stadt, in der ich aufwuchs, dachte ich immer, ich lebe eigentlich in einer Containersiedlung am Rand der Vorstadt und bin nie richtig angekommen.

Das Konstrukt Ihres Films ist aber schon: Die Flüchtlinge von damals als Gleichnis für die Flüchtlinge von heute.

Ja. Als ich den Film finanzieren ging, musste ich immer wieder das Konzept erklären. Also: Diese Geschichte von 1940 spielt im heutigen Marseille. Da haben die meisten geglaubt, ich wolle diese Geschichte in die aktuelle Flüchtlingsgeschichte übersetzen. Aber das wollte ich nicht. Die Gespenster von damals laufen im heutigen Marseille herum und sind nicht erlöst. So habe ich meist versucht, das zu erklären.

Mit der Idee von den Gespenstern der Vergangenheit hat der Film etwas sehr Melancholisches. Man erkennt sogar eine Spur Aki Kaurismäki darin.

Es hat tatsächlich mit ihm zu tun. Ich habe ihn vor zwei Jahren beim Mittsommer-Filmfestival in Finnland getroffen. Da hatte er gerade seinen Film „Le Havre“ fertig, den haben wir gemeinsam geschaut. Daran musste ich beim Dreh oft denken. Wir haben sogar kurz überlegt, ob wir die Handlung des Films nach Le Havre verlegen. Der Atlantik hat ja etwas eher Historisches: die Möglichkeit, mit dem Schiff in ein neues Leben zu kommen. Aber auch Kaurismäki hat mir damals gesagt, wir müssten unbedingt Marseille nehmen: die Stadt des Romans, die Stadt von 1940. Außerdem ist das Mittelmeer auch heute unser Flüchtlingsmeer.

Wie war es für Sie, die Geschichte aus den 40er-Jahren ohne historisches „Make-up“ im heutigen Marseille zu drehen?

Für die Schauspieler und mich war das eine unglaubliche Erfahrung. Wir kommen nach Marseille, mit diesen alten Dialogen, wir reden über Faschismus, über Visa, darüber, wie man hier raus kommt – und das fühlte sich dort eben nicht seltsam an, das fügte sich nahtlos in dieses heutige Marseille, als würde die Stadt aus den 40ern noch in der Stadt von heute weiter existieren.

Wieder wie ein Gespenst?

Das Gespensterthema ist wirklich ein wiederkehrendes Motiv bei mir. Es gibt ja diese Listen überall: Die 100 wichtigsten Filme. Da ist mir aufgefallen, dass das bei mir alles Gespensterfilme sind. Nicht, weil sie bei Netflix in die Kategorie Horror fallen. Jeder Bankräuberfilm ist ein Gespensterfilm. „Taxi Driver“ von Scorsese ist ein Gespensterfilm. Robert De Niro als Travis Bickle, der aus dem Krieg kommt und als Taxifahrer durch die Nacht geistert, weil er keinen Boden mehr unter den Füßen findet, ist ebenfalls ein Transitreisender. Und ich glaube, der Transitraum ist auch der Kinoraum.

Es braucht den Übergang, den Wechsel?

Ja, das ist unser Raum. Und wenn wir eine Liebesgeschichte haben, dann ist der Transitraum immer der schönste Ort für solche Geschichten. Der Hafen in die weite Welt ist auf jeden Fall der spannendere Ort als die Vorstadt. Das Kino braucht Menschen, die sich ihrer Identität nicht sicher sind, die eine Reise antreten, weil sie sich finden wollen. Und ein Kino, das so tut, als würde es wie im Ohnesorg-Theater feste Identitäten geben, ein Reihenhaus mit Jägerzaun, das ist furchtbares AfD-Kino.

Fühlen Sie sich manchmal missverstanden? „Berliner Schule“, Intellektuellenkino, sperrig, trocken?

Missverstanden nicht. Ich fand es anfangs allerdings nicht immer einfach, als der Begriff aufkam. Der stammte ja nicht von uns, sondern wurde uns auferlegt. Gleichzeitig wurde gesagt, ihr macht sperrige Filme und habt wenige Zuschauer. In dem Moment, als sich andere Länder für dieses Kino interessierten, wurden wir in Deutschland fertiggemacht. Aber ich fühlte mich nicht missverstanden, sondern nicht aufgehoben. Damit sind wir wieder beim Flüchtlings- oder Gespensterthema.

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