Berlin. Es ist schon kurios, da hat man den Gropius-Bau dutzende Male über die Jahre zu Vernissagen besucht, doch so hat man das Gebäude noch nie gesehen. Das Haus ist voller Licht, hell und transparent, die Folien vor den Fenstern sind entfernt. Was für eine Architektur, was für eine Atmosphäre! Teile der historischen Decken sind sichtbar, die alten Kacheln an einigen Türrahmen leuchten plötzlich grün. Das Tollste aber ist der freigelegte Lichthof, das Herzstück des Kreuzberger Ausstellungshauses.
Unser Bewusstsein für das historische Gebäude zu schärfen, 1881 als Kunstgewerbemuseum und -schule erbaut, das ist Dreh- und Angelpunkt im Konzept der neuen Chefin Stephanie Rosenthal. Am 1. Februar hat sie die Nachfolge von Gereon Sievernich angetreten, um sich nun erstmals öffentlich vorzustellen. Momentan ist der Gropius-Bau komplett leer, weil am Brandschutz gearbeitet wird. Ein Umstand, der Rosenthal durchaus zupasskommt. In den kommenden Monaten möchte sie einige „architektonische Interventionen“ vornehmen, um das internationale Haus einladender zu gestalten.
Ein Tagesticket gibt es bald für das gesamte Haus
Der Lichthof wird künftig für die Besucher frei zugänglich sein und Zentrum des Hauses werden. Von hier aus führen die Wege dann in die einzelnen Ausstellungen. Zuvor war der zentrale Mittelhof gesperrt oder eben Teil einer Ausstellungsfläche. Und damit das klappt, gibt es ab kommendem Jahr ein Tagesticket, somit kann „das ganze Haus als eine Ausstellung“ und ein „durchbluteter Organismus“ entdeckt werden. Auch das Restaurant und die Buchhandlung von Walther König werden umgebaut – sie sollen sich zum Lichthof hin öffnen.
Mit Stefanie Rosenthal steht der Gropius-Bau vor einem Neubeginn. Sie ist die erste Frau in der Geschichte des Hauses, mit ihren vielen internationalen Erfahrungen zumal eine „Frau von Welt“, die „frischen Wind“ versprüht, wie Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, sie einführt. Einiges wird die gebürtige Münchnerin aus der erfolgreichen Sievernich-Ära fortführen, wie die großen archäologischen Ausstellungen. Anderes eher nicht. Sievernich war es gelungen, die Fotografie als Medium fest zu etablieren. Rosenthal spricht davon, dass sie noch „den richtigen Weg dafür finden“ müsse – und zudem eine Kuratorin. Eine Liebeserklärung an die Fotografie klingt anders. Zudem möchte sie Archäologisches auch stets mit dem „zeitgenössischen Blick“ ergänzen.
Performance und Körper - das sind ihre Themen
Wer Rosenthals Biografie kennt, weiß, dass sie ein anderes Faible hat. Performance und Tanz und Körper, die Grenzüberschreitungen der zeitgenössischen Kunst interessierten sie. Klar ist also, dass sie den Gropius-Bau stärker für die Gegenwartskunst öffnen wird – gemäß dem Motto „Walking in the Artist’s Mind“ werden Künstler das Haus beleben. Rosenthal versteht den Gropius-Bau als lebendige Produktionsstätte und Ort der politischen Auseinandersetzung. Die promovierte 46-jährige Kunsthistorikerin verweist dabei auf die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes als Kunstgewerbemuseum und -schule mit eigenen Ateliers.
Die Filmemacherin und Performance-Künstlerin Wu Tsang ist bereits mit einem „Artists in Residence“-Programm eingezogen. Sie ist in Berlin nicht unbekannt, auf der letzten Berlin Biennale war sie zu sehen, in der Julia Stoschek Collection ist sie vertreten.
Rosenthal arbeitete die letzten zehn Jahre an der Londoner Hayward Gallery, dem Beton-Monster an der Themse, wo sie Ausstellungen wie „Art of Change. New Directions from China“ oder Pipilotti Rists „Eyeball Massage“ kuratierte.
2016 leitete sie die 20. Ausgabe der Sydney Biennale und ließ 70 Künstler unter dem gemeinsamen Titel „The Future ist already here“ zusammenkommen. Angefangen hat sie übrigens am Haus der Kunst in München, wo sie auch unter Chris Dercon arbeitete. Dessen Vorliebe fürs Performative teilt sie, das führte bei Berliner Kritikern bereits zu Aussagen, nun verkomme nach der Volksbühne auch noch das Berliner Ausstellungshaus zur „Performance-Bude“. So weit wird es nicht kommen, wie die Ausstellungsplanungen zeigen.
Der Herbst wird spektakulär mit der Schau „Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“ unter Federführung des Museums für Vor- und Frühgeschichte und ihrem Direktor Matthias Wemhoff. Funde aus allen Bundesländern werden in Berlin versammelt sein, darunter auch die legendäre Himmelsscheibe von Nebra. Eine Woche vorher, am 14. September, eröffnet die Sonderschau „Bestandsaufnahme Gurlitt“.
Im November 2013 hatte der Fall in München internationale Schlagzeilen verursacht. Gezeigt werden rund 250 Kunstwerke, die unter dem Raubkunstverdacht der Nazis standen. Versprochen wird ein Zwischenstand, denn immer noch laufen die Recherchen.
Ihren ersten Aufschlag macht Stefanie Rosenthal am 20. April mit der kubanischen Künstlerin Ana Mendieta (1948–1985), die mit 37 Jahren aus dem Fenster ihres New Yorker Appartements im 34. Stock stürzte. Ihr Tod blieb mysteriös. Ihr Körper war stets ihr Material, das Exil ihr Thema. Sie liebte Blut, Provokationen und Dramen. Im Gropius-Bau wird nun erstmals ihr Filmwerk zugänglich. Auf die gute Mischung wird es ankommen. Stefanie Rosenthal weiß das.