Kultur

Ein Bad im lang anhaltenden Jubel

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Peter E. Müller

Die italienische Sängerin Gianna Nannini tritt im ausverkauften Friedrichstadt-Palast auf

Woher nimmt die Frau bloß diese Energie! Sie tanzt und tobt ausdauernd über die großflächige Bühne. Sie gestikuliert wild mit Händen und Armen. Sie posiert wie eine stolze Gauklerin, der gerade ein schwieriges Kunststück gelungen ist, reckt den Arm in Siegerpose in die Höhe und badet im lang anhaltenden Jubel. Mit ihrer neuen Liveshow „Fenomenale“ hat die italienische Sängerin Gianna Nannini am Mittwochabend den ausverkauften Friedrichstadt-Palast zum Kochen gebracht. 63 Jahre ist sie inzwischen alt, nahezu 40 Jahre steht sie auf der Bühne und noch immer versteht sie es, mit ihrer Melange aus italienischem Schmelz, dieser rauchig-betörenden Stimme und einer gehörigen Portion Rock ’n’ Roll für sich einzunehmen.

Zunächst aber ist es an ihrer Band, den Abend zu eröffnen. Gitarrist Davide Tagliapietra lässt seine E-Gitarre verzerrt Verdi singen. „Libiamo ne’ lieti calici“, das vertraute Trinklied aus „La Traviata“, wird zu einem imposant sägenden Rockwalzer, bevor der Saal bei den ersten Tönen von „Latin Lover“ aufspringt und Gianna Nannini ganz in Weiß die Bühne entert. In den 80er-Jahren avancierte sie zu einem europäischen Rockstar, landete jede Menge Hits, wurde als „Rockpalast“-Livesensation gefeiert. Später experimentierte sie mit Elektronik, ging mit Streichern auf Tournee, doch immer kehrt die Musikerin zurück zu ihrer großen Liebe, dem rauen, schweißtreibenden Rock.

Bei „Latin Lover“ singt das Publikum mit

Im Friedrichstadt-Palast wird Gianna Nannini hofiert wie die verloren geglaubte Tochter, dabei war sie doch immer wieder zu Konzerten in Berlin. Der Euphorie-Pegel ist schon bei „Latin Lover“ so hoch, wie es bei anderen Shows erst zur Zugabe der Fall ist. Alles singt mit, wiegt sich im Rhythmus, gibt sich ganz diesem vor Lebens- und Liebeslust dampfenden Italo-Rock hin. Eine famose Fünf-Mann-Band und drei Chorsängerinnen stärken der kleinen großen Powerfrau versiert den Rücken. Mit „Fenomenale“, „Cinema“ und „Piccoli particolari“ folgen gleich drei neue Songs vom Album „Amore gigante“.

Doch natürlich weiß die burschikose Vollblutentertainerin, was sie ihren Fans schuldig ist. Mit „I Maschi“ von 1987 lässt sie emotional die mediterrane Seele baumeln, „Ragazzo dell’ Europa“ ist noch so ein Hit, bei dem das Publikum seine Italienischkenntnisse strapaziert. Dann stapft sie wie ein Kobold an der Bühnenrampe entlang und singt mit einem Grinsen auf Deutsch die Zeilen „Ach, bedenken sie, Herr Jakob Schmidt, ach, bedenken sie, was man für 30 Dollar kriegt …“ Es ist das „Havanna-Lied“ aus Brecht/Weills „Mahagonny“, das sie Ende der 80er-Jahre für ein Projekt von Dirigent Eberhard Schoener aufgenommen hatte.

Um gleich wieder loszulegen mit „Fotoromanza“ und „Profumo“. Flankiert von zwei Akustikgitarren singt sie das swingende „Sei nell’ anima“, und um die Stimmung noch mehr anzuheizen, gehört auch eine rau rockende Version von Domenico Modugnos 50er-Jahre-Klassiker „Volare (Nel blu, dipinto di Blu)“ zum Programm. Mit unerhörter Leichtigkeit nehmen diese Songs den Revuepalast lautstark in Beschlag.

Natürlich kommen auch Dauerbrenner wie „America“, „Bello e impossibile“ und zum Finale „Scandalo“ zum Zuge. Als zweite und letzte Zugabe schickt La Nannini ein glückliches Pu­blikum mit der Fußballhymne „Un’ estate italiana“, die sie 1990 gemeinsam mit Edoardo Bennato zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft in Italien gesungen hatte, in die kalte Nacht. Zwei Stunden lang gibt sich Gianna Nannini ihrem Publikum ganz hin. Das überschüttet sie am Ende mit nicht enden wollendem Applaus. Zu Recht.