Kultur

„Die Berlinale ist ein Lotteriegewinn“

| Lesedauer: 8 Minuten
Peter Zander

Heute eröffnen die Filmfestspiele. Der Schauspieler Florian Lukas über das Festival, das ihm einst den Durchbruch bescherte und dem er sehr verbunden ist

Herzklopfen. Aufregung. Nervosität. Manchmal fast Anflüge von Angst. Das sind so die ersten Dinge, die mir zur Berlinale einfallen. Herzklopfen und Aufregung, weil es immer wieder toll ist, über Tage hinweg so viele Filme zu schauen, auf die man sonst vielleicht nie kommen würde. Nervosität und Angst aber wegen der öffentlichen Auftritte. Wenn man selber einen Film präsentiert. Oder auch einfach nur, wenn man über den roten Teppich geht. Ich kann das nur als Zirkus bezeichnen. Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen, auch wenn ich schon so lange zur Berlinale kommen darf. Und noch was fällt mir dazu ein: die Überforderung. Das Angebot scheint gefühlt von Jahr zu Jahr mehr zu wachsen, immer kommt noch eine Sektion dazu.

„In meinen ersten Film ließ man mich nicht rein“

Ich bin in der glücklichen Lage, dass immer mal wieder ein Film mit mir lief. Und wenn nicht, bin ich immer als Ehrengast eingeladen, das ist sehr nett. Im Vorhinein sind mir die Berlinalen, bei denen kein Film von mir läuft, natürlich lieber. Da muss ich mir keinen Stress machen und kann in alle Filme gehen. Da erlebt man manchmal die tollsten Entdeckungen. Das Tolle an Filmen ist das Reisen. Das Reisen in fremde Welten, andere Lebensweisen, zu anderen Zeiten. Das kannst du hier massiv in kürzester Zeit genießen. Im Nachhinein sind aber natürlich die Berlinalen, bei denen man selber einen Film zu präsentieren hat, die wichtigeren, schöneren. Du hast halt nur diesen Stress mit all den Presseterminen, den Interviews – und dem Nervenkitzel, einen neuen Film mit Hunderten von Leuten zu erleben. Ein Festival ist noch extremer als ein gewöhnlicher Premierenabend, weil das Publikum da zu extremen Reaktionen neigt.

Dann sind da natürlich noch die ganzen Branchentreffs und Empfänge, wo man sich auch sehen lassen muss. Das klingt jetzt sehr nach Luxusproblem, aber diese Pflichttermine kann ich nur schwer ertragen. Ich bewundere alle Kollegen, die nur dafür zur Berlinale gehen. Inzwischen kenne ich glücklicherweise schon ziemlich viele Leute, es wäre nur hilfreich, wenn ich mich auch an deren Namen erinnern könnte. Man lernt auch viele neue, jüngere Filmschaffende kennen, das ist gut. Es bleibt aber Arbeit. Wer Spaß an Partys hat, ist da gut aufgehoben. Ich gehe lieber ins Kino.

Ich schaffe manchmal zwei bis drei Filme am Tag. Das hängt vom Programm ab. Und von der eigenen Verfassung. Weil mich der Rummel so stresst, versuche ich das im Rahmen zu halten. Das wäre dann auch mein Tipp, um gut durch die Berlinale zu kommen. Möglichst schlafen. Und wenig Alkohol. Ich bin keiner, der da die Nächte durchfeiert. Ich gönne mir lieber zu Haus noch einen Whiskey, um runterzukommen. Ich habe aber auch den enormen Vorteil, dass meine Wohnung in Laufweite vom Potsdamer Platz liegt. Ich kann da zwischendurch gemütlich hin und mich ein Stündchen aufs Ohr legen. Vor drei Jahren habe ich die Wohnung renoviert. Bin abends in den Smoking und zur Eröffnung. Und nach zwei Stunden habe ich mich wieder verdrückt, um mitten in der Nacht weiter die Tapete zu kratzen. Das hab ich dann auch zwischen den Filmen gemacht, das war eine sehr abwechslungsreiche Berlinale.

Eine meiner ersten Erfahrungen war ziemlich eigenwillig. Das war 1997. Ich stand damals vor dem Zoo Palast und wollte unbedingt Wolfgang Beckers Film „Das Leben ist eine Baustelle“ sehen, der im Wettbewerb lief. Ich hatte auch ein Ticket ergattert. Aber ich kam trotzdem nicht rein. Weil die meisten Filme für ein Festival nämlich noch keine FSK-Freigabe beantragt haben, kommt man automatisch erst ab 18 rein. Ich war damals 23. Aber die Einlasser – das waren damals noch nicht diese freundlichen Menschen, sondern Leute aus dem Boxclub – glaubten mir nicht. Und ich hatte meinen Personalausweis vergessen! Ich habe mich total aufgeregt, ich bin richtig ausgeflippt. Peinlich. Aber es half nichts, an den Straßenkämpfern kam ich nicht vorbei.

Wie schön, als dann sechs Jahre später der nächste Wolfgang-Becker-Film auf der Berlinale lief, inzwischen am Potsdamer Platz: „Good Bye, Lenin!“ , und ich diesmal als Schauspieler dabei war. Mein erster Film auf der Berlinale, und gleich im Wettbewerb! Da ich immer so nervös bin bei so was, kann ich mich heute nicht mehr an viel erinnern. Aber nie werde ich vergessen, wie wir hinter dem Vorhang standen, alle zitterten und nervös rauchten. Es war ja nicht ausgemacht, ob die Deutschen über diese Komödie, über diese Art der Vergangenheitsbewältigung lachen konnten. Sonst brauche ich das nicht, ich bin wirklich kein Applaus-Duscher. Aber als dann diese Welle von Beifall losbrach, das war wie eine Erlösung.

Ich bin echt stolz darauf, dass ich bei dem Film dabei sein durfte. Ich hab’ den Film erst neulich wieder in einem Kino vorgestellt. Und bin immer wieder überrascht, wie klein meine Rolle ist. Aber „Lenin!“ hat wirklich Festivalgeschichte geschrieben. Und das hat für mich alles verändert, das hat meinem Leben eine Basis gegeben, auf der ich vieles aufbauen konnte.

Seither fühle ich mich dem Festival sehr verbunden. Auch wenn ich immer wieder staune, wie viel so im Lauf der Jahre zusammengekommen ist. Mal war ich im Wettbewerb vertreten, wie mit „One Day in Europe“. Mal im Panorama, wie in „Keine Lieder über Liebe“ von Lars Kraume oder „Die Fremde“ von Feo Aladag. Mit „Grand Budapest Hotel“ sogar mal mit einem Eröffnungsfilm. Okay, da kam ich nur in einer Szene vor, aber ich habe immer davon geträumt, einmal in einem Wes-Anderson-Film mitzuspielen.

„… und plötzlich bist du der alte Hase auf der Berlinale“

Dieses Jahr ist irgendwie ein doppeltes Déjà-vu. Wieder wird die Berlinale mit einem Wes-Anderson-Film eröffnet. Und wieder bin ich mit einem Film von Lars Kraume dabei: „Das schweigende Klassenzimmer“. Eigentlich wollte ich bei diesem Projekt gar nicht mitspielen. Ich drehe keine Filme mehr über die DDR. Ich finde, bei dem Thema bin ich mit „Weissensee“ gut ausgelastet. Lars musste mich überreden.

Und eigentlich sollte man bei ihm auch nicht Nein sagen. Er ist einer der besten Regisseure, die wir im deutschen Film haben. Und uns verbindet etwas Spezielles. Wir haben uns schon 1995 kennengelernt. Lars hat seinen ersten Kurzfilm gemacht und mich besetzt. Danach haben wir einen Kurzfilm zusammen produziert. Und ich durfte in seinem Abschlussfilm „Dunckel“ mitspielen. Daraus hat sich nicht nur eine enge Arbeitsverbindung, sondern auch eine Freundschaft entwickelt.

Auch in „Das schweigende Klassenzimmer“ spiele ich wieder nur eine kleine Rolle. Ich kann mir gut vorstellen, wie aufgeregt die tollen jungen Hauptdarsteller sein werden bei ihrer ersten Berlinale. Und da merke ich plötzlich: „Lenin!“ ist schon 15 Jahre her. Plötzlich bin ich der alte Hase. Bei all diesen Erfahrungen sollte ich ja eigentlich Routine entwickelt haben. Aber ich werde wieder genauso aufgeregt und nervös sein wie immer. Jede Einladung zur Berlinale ist wie ein Lottogewinn.

Aufgezeichnet von Peter Zander