Kultur

Wie hieß nochmal dieser eine Film?

| Lesedauer: 3 Minuten

Die Berlinale ist auch eine Kraftprobe für das Gedächtnis

Je älter ich werde, desto mehr misstraue ich meinem Erinnerungsvermögen. Meine Kinder wissen das und versuchen mich dauernd auszubluffen. „Das habe ich dir doch schon gesagt“, heißt es dann, obwohl mir natürlich niemals irgendjemand irgendwas gesagt hat.

Die Berlinale jedenfalls ist an ihrem Anfang immer ein guter Anlass für ein kleines Trainingslager. Wie weit reicht meine Erinnerung an die Goldenen Bären zurück? Das vergangene Jahr ist noch einfach. Das war der Film dieser ungarischen Regisseurin, „Von Körper und Seele“ hieß er. Er enthielt eine ziemlich brutale Selbstmordszene, wegen der bei einer Vorführung im Friedrichstadt-Palast ein paar Leute in Ohnmacht fielen. Ich habe ihn mir aber nicht nur deshalb gemerkt, sondern weil es wirklich ein wunderschöner, angenehm seltsamer Liebesfilm ist. War das nicht auch die Berlinale, auf der der finnische Regisseur Aki Kaurismäki dann volltrunken über die Preisverleihung torkelte? Ich glaube schon.

Im Jahr davor war es eine Dokumentation, es ging um Flüchtlingsschicksale auf Lampedusa. Oder eigentlich genau darum nicht, sondern um den Alltag auf der Insel, der abgeschirmt von der Flüchtlingskatastrophe stattfindet. Das war ein sehr ergreifender Film. Den Titel, „Seefeuer“, musste ich jetzt schon kurz googeln, ich war mir nicht mehr sicher. Von dieser Berlinale habe ich sonst nur noch ein paar Trümmer im Gedächtnis: Den Eröffnungsfilm „Hail, Cesar!“ von den Coen-Brüdern, der mich eher enttäuschte. Den Abtreibungsfilm „24 Wochen“, bei dem mir eine nette ältere Dame neben mir ein Taschentuch reichte. Das war weit draußen in Kleinmachnow, ich schrieb einen Text über die Sektion „Berlinale goes Kiez“ und überlegte mir damals, die während der Berlinale zurückgelegten Kilometer zu messen. Vielleicht hole ich das in diesem Jahr nach.

Und im Jahr davor? Ein toller Film eines iranischen Regisseurs, der dann aus naheliegenden Gründen nicht zur Preisverleihung kommen konnte: Man ließ ihn einfach nicht ausreisen. Der Film hieß „Taxi“ und handelte von einem Taxifahrer in Teheran, der allerlei skurrile Leute trifft, aber auch von staatlicher Seite überwacht wird. Ein alter Freund saß während der Vorstellung zufällig neben mir, danach gingen wir noch einen Cappuccino trinken. Es ist schon eine eigenartige Sache mit dem Gedächtnis: Dieser Cappuccino existiert wie eine prachtvolle Skulptur in meinem Kopf, ich kann vor meinem inneren Auge fast das Muster der Milchbläschen erkennen.

Die Jahre davor, also von der Berlinale 2014 an rückwärts gerechnet, zerfasern in meiner Erinnerung. Natürlich könnte ich jetzt bei Wikipedia die Wettbewerbslisten durchsehen, dann würden mir wieder ein paar Sachen in den Sinn kommen und sich zu irgendeiner Erzählung fügen. Aber ich mag mein Gedächtnis eigentlich, wie es ist: kein ordentlich sortiertes Aktenlager, sondern ein nach undurchschaubaren Prinzipien komponiertes Chaos aus Gerüchen, Bildern, Gesten, Sätzen, Farben und Zahlen. Man geht hinein, schaut sich staunend um und findet ein Muster aus Milchbläschen. Ich freue mich auf das Gerümpel, das in diesem Jahr hinzukommt.