Kultur

Gegen das Klischee spielen

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Peter Zander

Maria Dragus geht immer in die Vollen und liebt krasse Rollen. Wie jetzt im Historienfilm „Licht“. Ein Treffen in Kreuzkölln

Man könnte direkt Angst haben vor ihr. Jedenfalls, wenn man sie aus ihren Filmen kennt. Maria Dragus wurde bekannt durch „Das weiße Band“ von Michael Haneke, wo sie 2009 eines der grausamen Kinder spielte. Und zuletzt gesehen hat man sie im vergangenen Jahr in „Tiger Girl“, einem ruppigen Berlin-Film, wo sie eine eher stille Maus war, die sich zu einer echten Schlägerin wandelte. Und so ähnlich kommt sie einem jetzt auch entgegen. Dick wattiert und mit absichtsvoll zerrissener Hose. Wir treffen uns nicht etwa an einem dieser geleckten Mitte-Hotspots, sondern im ruppigen Kreuzkölln, in einem eher unauffälligen Café an der Hasenheide. Ihr Gesicht wirkt hart und kantig. Aber dann entwaffnet sie einen gleich mit einem strahlenden, fast kindlichen Lächeln. Das bildet einen starken Kontrast. Es ist ziemlich klar, was die Regisseure so an ihr reizt.

In ihrem jüngsten Film „Licht“, der jetzt in den Kinos läuft, ist sie mal von einer ganz anderen Seite zu sehen. Als blinde Komponistin Maria Theresia Paradis, eine Zeitgenossin von Mozart, die, damals ein Unikum, ihren Lebensunterhalt durch ihre Konzerte selbst bestritt. Eine für ihre Verhältnisse unheimlich autarke, moderne Frau. Was Maria Dragus auch am meisten an dieser Figur gereizt hat. Neben der Tatsache, dass die Paradis heute dennoch weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Oder, wie die Dragus das nennt, „vom Patriarchat ausgelöscht wurde“.

Angst hat sie immer, egal bei welcher Rolle

Maria Dragus in einem Kostümfilm, in wuchtigen Barockkostümen mit Perückenturm, das scheint wieder so ein krasser Widerspruch. Aber genau das muss die Regisseurin Barbara Albert bei der Besetzung gereizt haben. Denn die 23-Jährige konnte weder gut Klavierspielen noch Wienerisch sprechen. Und hat sich das erst aneignen müssen.

Wie sie uns jetzt gegenübersitzt, bei einer Tasse heißer Schokolade, wirkt sie manchmal fast noch wie ein Mädchen, lacht nicht nur dauernd, sondern kichert geradezu. Aber gleichzeitig ist da etwas schon sehr Erwachsenes, Reifes, unheimlich Abgeklärtes. Etwa wenn man sie fragt, ob sie sich manchmal zwicken muss, was alles so passiert ist, seit sie mit 15 im „Weißen Band“ gespielt hat und damit gleich auf das Festival von Cannes gekommen ist. „Ich kenn’s ja nicht anders“, lacht sie. Wird dann aber gleich ganz ernst: „Es wäre aber auch ziemlich traurig, wenn ich denken würde, dass ich in einem Traum lebe.“ Oder wenn man sie fragt, ob sie Bammel hatte, eine Blinde zu spielen, ob man da Angst habe, es könnte lächerlich wirken. „Die Angst habe ich eigentlich immer, egal bei welcher Rolle“, sagt sie, geradezu entwaffnend. „Aber man muss sich davon lösen, eitel zu sein.“

Sie war sofort dabei, als es darum ging, in einem Kostümfilm zu spielen. Was aber sonst alle Kollegen gern erzählen, dass so ein historisches Kostüm, hier sogar mit richtigem, zwickendem Korsett, automatisch etwas mit einem Schauspieler macht, das Spiel, die Haltung verändert, das lehnt sie kategorisch ab: „Das interessiert mich nicht. Man muss immer gegen die Sachen angehen, die einem als Form vorgegeben werden. Sonst wäre es nur eine Schablone.“ Also immer schön gegen das Klischee spielen.

Maria-Victoria Dragus wird mal als Rumänin, mal als Deutsche bezeichnet. Tatsächlich ist sie beides. Geboren und aufgewachsen ist sie in Dresden, als Tochter eines rumänischen Cellisten und einer rumänischen Tänzerin. Hat aber auch einige Jahre in Rumänien gelebt und besitzt auch einen rumänischen Pass. Heute pendelt sie zwischen Berlin, Bukarest und Paris. Wie ihre Mutter zog es die Tochter zum Tanz. Dann kamen erste Auftritte in Fernsehserien. Und dann Hanekes „Weißes Band“ mit all dem Preis-Segen. Da war klar für sie, dass sie Schauspielerin werden würde. Weil die Erfahrung mit Haneke so intensiv und komplex gewesen sei. „Und mich reizen Dinge, die komplex sind.“ Wie sie das so sagt, mag man ihr das sofort glauben. Das Tanzen würde sie aber nie aufgeben. Das ist die Basis, wo sie herkommt. Und das ist es auch, was sie beruhigt: „Wenn ich an der Ballettstange stehe, ist das wie nach Hause kommen.“ So hat sie Haltung gelernt. Und wie man sich bewegt, einen Raum einnimmt. Dinge, die ihr beim Schauspiel helfen.

Wenn man sich ihre für ihr zartes Alter schon recht stattliche Filmografie anschaut, fällt auf, dass da nichts Gefälliges, nichts Mainstreamiges ist. Lauter sehr spezielle, sehr eigene Filme. Wie eben diese blinde, autarke Komponistin. Lehnt Sie andere Angebote ab – oder bekommt sie nichts anderes angeboten? Wieder so ein Kinderlächeln und so eine erwachsene Antwort. Vielleicht sei das eine Kombination aus beidem. Sie mag sperrige Filme, weil sie eben anders und überraschend sind. Und: „Ich möchte aus der Komfortzone gerissen werden.“

Was Kommerzielles würde sie schon auch mal machen, aber das müsste halt auch passen. „Also nicht nur du zum Film, sondern auch der Film zu dir.“ Sie bevorzuge aber immer Filme, die vielleicht anecken, zu denen man aber eine Haltung haben müsse. „Ich halte das in unserer momentanen Welt für unabdingbar: eine Haltung zu haben. Sonst ist man nur ein passiver Teil der Gesellschaft. Man muss mitwirken, um Dinge zu bewegen.“ Das klingt alles unheimlich selbstbewusst. Hat sie dennoch einen Plan B, falls das mit der Schauspielerei doch mal stagnieren sollte? „Ach“, sagt sie und setzt wieder ihr bezauberndes Lächeln auf, „ich bin so schlecht mit Plänen.“