Kultur

Schneidende Klarinetten und näselnde Oboen

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Matthias Nöther

Bläseroktett der Philharmoniker im Kammermusiksaal

Wie spärlich in den etablierten Konzerthäusern Berlins Veranstaltungen mit Bläsern immer noch repräsentiert sind, sieht man daran, dass der Saal fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist: Im Kammermusiksaal spielt das Bläseroktett der Berliner Philharmoniker samt Martin Heinze am Kontrabass. Neugier herrscht und Hunger. Dabei gibt es hier nicht einmal Philharmoniker-„Stars“ wie den Oboisten Albrecht Mayer zu hören. Es spielt sein Solo-Kollege Jonathan Kelly – der ist durchaus auch bekannt, aber prangt meist nicht auf bunten Plakaten. Und womit steigen die acht Musiker ein? Mit einer Harmoniemusik von Franz Krommer! Wer da neugierig wird, der hat Geigen-Überdruss.

Dabei ist Krommer auf dem Feld der Bläsermusik der Komponist überhaupt. Und als solchen präsentieren ihn die Musiker. Man traut seinen Ohren nicht. Schneidende Klarinetten, mit barocker Schärfe näselnde Oboen, bratzende Hörner, ulkende Fagotte in Krommers Partita C-Dur op. 76 – sind das noch die Philharmoniker-Bläser, die einst von Karajan auf Weichheit und einen alles nivellierenden, bedingungslos totgemischten Klang getrimmt wurden? Nein, natürlich nicht. Nur noch der zweite Klarinettist Walter Seyfarth dürfte sich erinnern können. Aber wir leben in der Postpostpostmoderne – diese Musiker unter Führung des exquisiten Jonathan Kelly und des Soloklarinettisten Alexander Bader haben viele Spieltechniken und Farbmischungen zur Verfügung. Das setzt einen wirklich in Erstaunen – gerade, wenn auf Krommer die Mozart-Serenade Nr. 11 Es-Dur KV 375 folgt. Nun hat man seinen Mozart-Sound der „alten“ Philharmoniker zurück: Fast scheint Jonathan Kelly für seine Kantilenen das genuin Spröde seines Instruments ätherisch aufzuheben, eher schiebt Kollege Bader seine weichen Einsätze sanft in den Raum, als dass er sie bläst. Mozartische Klassizität als moderner Hybrid.

Der Ton im Beethoven-Oktett Es-Dur op. 103 ist wieder ein anderer – und die Schwierigkeit. Anfangs ist auch die fast soldatische Geschlossenheit des Bläsersatzes etwas gefährdet, aber nicht ernsthaft. Bald im ersten Satz lässt Sarah Willis die irrsinnig schweren Hornkommentare schlafwandlerisch nach unten quirlen. In der jüngst rekonstruierten Urfassung von Mozarts „Gran Partita“, die die Sätze 1, 2, 3 und 7 dieses berühmten Bläserwerks umfasst, gehen alle Solisten noch einmal volles Risiko ein, lassen Töne auch mal bis zum drohenden Abbrechen leiser werden. Die Abenteuerlust der Bläser und ihres Publikums ist groß an diesem Abend.

( Matthias Nöther )