Zum Holocaust-Gedenktag debattieren im Berliner Ensemble jüdische Künstler über Erinnerung und modernes Judentum

Es soll ums Erinnern gehen und um das Judentum, ob es eine Religion ist beispielsweise oder eine politische Identität oder beides, und darum, was es heute bedeutet, jüdisch zu sein. Alles Fragen, auf die es keine schnellen Antworten gibt. Und keine homogenen. Dabei hat die Schriftstellerin Mirna Funk den Tag unter das Motto „Connecting the Dots“ gestellt, also „Die Punkte verbinden“. Gezeigt wird allerdings, dass man die Punkte nicht immer verbinden kann. Und dass das okay ist.

Um der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 zu gedenken, hatte Funk am Sonnabend ins Berliner Ensemble geladen. Einen Workshop, ein Filmscreening und zwei Diskussionsrunden arrangiert sie lose um das Thema Holocaust: Der SPD-Politiker Sigmar Gabriel debattiert etwa mit dem jüdischen Journalisten Michel Friedman über Auschwitz und in einer anderen Runde wird über Aufarbeitung, Erinnerung und modernes Judentum diskutiert – glücklicherweise mit unterschiedlichen Ansichten, nie mit gemeinsamen. Denn Funk hat ihre Gäste klug ausgewählt: Neben ihr sitzen auf dem Podium am Abend die Schriftstellerin Deborah Feldman, die aus einer ultraorthodoxen jüdischen Glaubensgemeinschaft in New York nach Berlin geflüchtet ist, die Autorin Olga Grjasnowa sowie der Journalist und Autor Mati Shemoelof, der aus Israel stammt und seit vier Jahren in Berlin lebt.

Alle vier Juden leben ihren Glauben anders oder auch gar nicht, stellt sich heraus, für alle bedeutet jüdisch sein etwas anderes. Für Grjasnowa ist es Familiengeschichte und politische Zugehörigkeit, für Shemoelof ist es die Liebe zu Gott, für Feldman ist es wohl vor allem Oppression und Unfreiheit. „Es hat lange gedauert, bis ich mich vom Zwang zur Erinnerung an den Holocaust verabschieden konnte“, sagt sie. In ihrer Gemeinde habe die 31-Jährige gelernt, die Erinnerung daran auf Kosten von allem anderen wachzuhalten, sie auch über persönliches Glück zu stellen. So sehr, dass sie unter den Traumata ihrer Großeltern, bei denen sie aufgewachsen ist, leidet – ganz nach dem Diktat „Mir darf es nicht schlecht gehen, denn meiner Großmutter ging es in der NS-Zeit viel schlechter.“

Mit Humor und Leichtigkeit durch schlingernde Debatte

Klar, so lässt sich nicht gut leben. Aus diesem Grund hat Feldman mit ihrem Sohn New York verlassen, ihre arrangierte Ehe so hinter sich gelassen wie die Angst und die Zwänge dieses unfreien Lebens. Dass sie sich in Berlin so zu Hause fühlt wie nirgendwo sonst, das merkt man ihr an diesem Abend an. Und dass sie sich nie wieder irgendeiner religiösen Direktive unterwerfen will: „Ich habe echt keinen Bock auf die Synagoge.“

Dass sich beim Sprechen niemand zurückhält, weder auf der Bühne noch im Saal, weil es so schwierig ist, nicht in Sprachkitsch oder Pathos abzudriften, wenn es um die Bedeutung von Erinnerung geht, ist Funk zu verdanken. Mit Humor und Leichtigkeit führt die Berlinerin durch die manchmal schlingernde Diskussion – ohne die Flucht in den Zynismus anzutreten, ohne die Relevanz des Tages zu verlachen. Denn darin sind sich natürlich doch alle einig: „Solange jemand über den Holocaust sagt ,Ich kann das nicht mehr hören‘, so lange haben wir den Bedarf, darüber zu sprechen“, sagt Grjasnowa, alles nickt, auch das Publikum. Denn Antisemitismus ist leider kein Phänomen der Vergangenheit. Menschenhass und die Hatz auf Minderheiten sind leider noch immer aktuell.