Film

Blut, Schweiß, Tränen & Fettpolster: „Die dunkelste Stunde“

| Lesedauer: 4 Minuten
Felix Müller

Foto: Jack English / dpa

Gary Oldman brilliert in „Die dunkelste Stunde“ als Premier Winston Churchill. Der soll in Zeiten von Brexit zum Idol werden.

Winston Churchill, das macht der Film „Die dunkelste Stunde“ schon in seinen ersten Sekunden klar, war für das politische Establishment Großbritannien auch eine ästhetische Herausforderung. Wir sehen ihn als riesiges, wohlgenährtes Baby im rosa Nachtgewand auf seinem Bett, die Zigarre bereits im Mundwinkel, kehlig nach der Morgenration Alkohol verlangend. Gleich wird er eine neue Sekretärin beim Diktat so rüde zurechtweisen, dass diese kurz danach in Tränen ausbricht.

Welch ein Unterschied zu so soignierten, steifen Herrschaften wie König George VI. (Ben Mendelsohn), Neville Chamberlain (Ronald Pickup) oder Lord Halifax (Stephen Dilane)! Es wird sich in den kommenden Minuten, in all den Unterhausdebatten, Hinterzimmer- und Krisenraumgesprächen schnell so anfühlen, als habe sich hier eine Bulldogge ins Pinguingehege verirrt.

Doch das entspricht den historischen Tatsachen: Der zupackende Habitus dieses Mannes, der im Mai 1940 Premierminister wurde, war nichts für Zartbesaitete. Gary Oldman – der unter den dicken Latexschichten seiner Maske fast verschwindet und oft nur anhand seiner Augen erkennbar bleibt – stürzt sich mit Lust in die Aufgabe, die fast unerklärliche, immer sehr präsente Energie des damals 65-Jährigen herauszuarbeiten, den dann doch wieder fast pinguinhaft watschelnden Gang Churchills hat er besonders gut getroffen.

Er liefert damit die Antithese zu Brian Cox, der erst im vergangenen Jahr im Historiendrama „Churchill“ einen ausgebrannten, ständig zaudernden Staatsmann im Jahr 1944 verkörperte, der seinem Umfeld mit überholten Kriegsweisheiten nur noch auf die Nerven fiel. Der Churchill des Jahres 1940, so lernen wir, war eine ganz andere Nummer: Ja, die deutsche Wehrmacht hat Frankreich in jenem Jahr fast überrollt. Ja, 400.000 britische Soldaten sind bei Dünkirchen eingekesselt und sehen ihrem sicheren Ende entgegen. Ja, es droht eine Invasion der Deutschen. Aber deshalb in Friedensverhandlungen mit Hitler eintreten, vermittelt über dessen Vasallen Mussolini? Nicht mit diesem Churchill.

Regisseur Joe Wright hat sich, im Gespann mit seinem Filmmusikkomponisten Dario Marianelli, schon vor zehn Jahren in der Ian-McEwan-Verfilmung „Abbitte“ dem Weltkriegsgeschehen jener Jahre zugewendet. Diesmal freilich reiht er sich, zusammen mit Christopher Nolans „Dunkirk“ (2017) in das gerade aufblühende Genre britischer Vergangenheitsbetrachtung ein, dem sich unschwer das Bemühen ablesen lässt, in Brexit-Zeiten zu etwas wie nationaler Selbstvergewisserung zu gelangen.

Das ändert aber nichts daran, dass Joe Wright hier über die volle Dauer von immerhin 126 Minuten ein mitreißender Film gelungen ist. Oldman, für seinen Auftritt bereits mit einem Golden Globe bedacht und bei den Oscars sicher einer der Favoriten für den Darstellerpreis, bekommt jeden Raum, den er braucht – auch wenn der Film fast ausschließlich in engen Kammern spielt.

Wir sehen Churchill als Choleriker, als mitreißenden Redner (dessen Sprachgewalt ihm 1953 den Literaturnobelpreis einbringen sollte), als barocke Genuss- und Kämpfernatur, als liebenden Ehemann, der seine Frau Clementine (immer großartig, hier aber besonders: Kristin Scott Thomas) charmant „Cat“ nennt, während sie ihn - wohl als der einzige Mensch auf dem Planeten – mit nachsichtigem Lächeln als „Pig“ bezeichnen darf.

Und natürlich sehen wir ihn, intelligent, wie er war, auch als Zweifelnden, den sein Umfeld von Chamberlain bis Halifax um Haaresbreite zum Appeasement bewegt hätte. Wer weiß schon, welche Fahnen heute vor dem Buckingham Palace wehen würden, wenn sie erfolgreich gewesen wären?

Joe Wright hält sich dabei, die historischen Daten stets leinwandfüllend einblendend, an die historisch bekannten Tatsachen und unternimmt nur einen Ausflug ins Fiktionale, der den Premier in die Londoner Untergrundbahn führt und ihn ganz als Mann des Volkes zeigt. Sein Film macht klar: Wir dürfen dankbar sein, dass es ihn gegeben hat.