Berlin. Virtuelle Kunst im Selbstversuch: Unsere Autorin fühlte sich seltsam, als sie sich in einer Galerie von Maschinen porträtieren ließ.

Paul starrt mich an. Nur manchmal guckt er weg, dann aber doch wieder zu mir, fokussiert mein Gesicht. Eigentlich sind es sogar fünf Pauls, die da vor mir platziert sind und mich in der Galerie Dixit Algorizmi immer wieder so ungeniert anglotzen. Mal der eine, dann wieder ein anderer, manchmal alle gleichzeitig.

Und ich muss das ertragen. Ich will’s ja – für 30 Minuten. Denn die Pauls porträtieren mich. So lange still zu sitzen, unverändert die eigene Blickrichtung, während einen diese Gestalten gleichzeitig anschauen, um einen zu zeichnen, ist ein merkwürdiges Gefühl.

Nun könnte man argumentieren, dass das ja gar keine echten Augen seien, bloß Linsen. Dass der Programmierer und Künstler Patrick Tresset diesen Maschinen den Namen Paul gegeben hat. Dass diese nur tun, was ihnen befohlen wurde. Und dass sie deshalb eben gar keine menschlichen Blicke aussenden würden.

Diese programmierten Wesen bekommen humane Züge

Stimmt. Faktisch nämlich sitzt man hier nicht vor Menschen. Beobachter aus Fleisch und Blut sind höchstens Passanten, die zufällig durch die großen Schaufenster hier in der Ackerstraße in diesen weißen Raum lugen, in dem man sitzt und sich beobachten lässt. Von jenen fünf Pauls.

Die Roboter bestehen aus jeweils einer Digitalkamera oder Webcam und haben einen Arm, an dem ein Kugelschreiber befestigt ist. Mit diesem malen sie in unterschiedlichem Tempo auf ein weißes Blatt Papier, das mit Reißzwecken auf alten Schultischen aus Holz befestigt ist.

Woher also kommt mein Unbehagen? Es klingt verrückt und doch wird schnell klar: Die programmierten Wesen bekommen undefinierbar humane Züge. Während der eine bloß hektisch aufschaut, ob sein Bild mit mir, dem Modell, noch übereinstimmt, beobachten andere in ruhiger Manier, sinnieren fast, und einer von ihnen wirkt irgendwie verunsichert.

Das Ergebnis der Sitzung sind abstrakte, reduzierte, realistische Porträts
Das Ergebnis der Sitzung sind abstrakte, reduzierte, realistische Porträts © Anikka Bauer

Am Ende spiegelt sich ihre individuelle Art auch in den insgesamt fünf Porträts wieder: abstrakte, reduzierte, realistische, völlig wirre Linienführungen aus verschiedenen Perspektiven. So wie in echt eben auch – schließlich hat jeder Künstler seinen ganz eigenen Stil. Damit erinnert es an eine klassisch angelegte Malklasse, besetzt mit Profi­malern und talentlosen Anfängern.

Ganz so klassisch ist das Projekt mit dem Titel „5RnP – Five Robots named Paul“ natürlich doch nicht. Die In­stallation von Tresset, die schon im Victoria & Albert Museum in London und im Centre Pompidou in Paris gezeigt wurde, und nun in Mitte zu sehen ist, setzt inhaltlich die Schnittstelle zwischen zeitgenössischem Künstler und Maschine, gesteuert durch Algorithmen.

Der Galerist Peter Braun-Himmerich beschäftigt sich seit zehn Jahren mit diesem Thema: Kunst und Algorithmen. Er unterscheidet hierbei in drei Bereiche. Da gibt es die „Maschinenkunst oder Kunstmaschinen“, sagt er, so wie bei Tresset. Und die menschlichen Künstler, die nach einem Algorithmus, einer Handlungsanweisung ihre Werke schaffen. Das kann auch manuell sein.

Mensch gegen Maschine. Realität versus Virtualität. Haptisches versus Digitales. All solche vermeintlichen Gegensätze schießen einem durch den Kopf, während man sich nicht bewegen darf. Aber sind das heute überhaupt noch Gegensätze?

Denn eigentlich, so scheint es oft, vermischt sich mittlerweile doch alles irgendwie miteinander. Schon im Kleinen lässt sich sein digitales oft gar nicht mehr so klar von seinem analogen Leben trennen. Wer soziale Medien konsumiert, sogar selbst darin aktiv ist, wird wissen, was damit gemeint ist.

Und auch im größer angelegten Kontext kann man darüber nachdenken: Menschliches, das durch maschinelles Können ersetzt wird, zieht sich bereits heute durch verschiedene Bereiche. Die Entwicklung wirkt in Teilen unaufhaltsam, weil es heißt, dass Maschinen schlichtweg besser arbeiten. Werden Roboter also irgendwann tatsächlich unsere Fähigkeiten vollends ersetzen? Immerhin operieren sie bereits, bauen und fahren Autos. Sie erforschen Zellkerne und erkunden die Marsoberfläche. Das digitale Zeitalter ist per se natürlich hilfreich, kann eine Gesellschaft unter Umständen optimieren, sie ökonomischer, vielleicht sogar sicherer machen.

Und doch schleicht sich in solche Überlegungen auch immer wieder Negatives. Mit der Faszination für Fortschritt geht wohl immer auch Unbehagen einher. Auch Braun-Himmerich fragt sich ab und an, ob er in 100 Jahren eigentlich noch leben wollen würde.

Man denke nur an Kriegssituationen, in denen Roboter als unempfindliche Kampfmaschinen oder Späher eingesetzt werden können – was auch ausgenutzt werden kann. Oder aber an das umstrittene Thema der Gesichtserkennung in Großstädten, um Terroristen zu bekämpfen, wie es heißt. Im vergangenen Jahr wurde die am Bahnhof Südkreuz getestet.

Tresset und seine zeichnenden Roboter sind natürlich nicht so bedrohlich wie ferngesteuerte Drohnen. Und doch geht es auch hier nur vordergründig um Porträtmalerei an sich, sagt der Galerist. Viel mehr stellt sich die Frage: Bald nur noch Roboter mit Pinsel?

Ähnlich wie die Porträtmalerei von der Technik der Fotografie in Teilen abgelöst wurde. Mit dieser war es plötzlich viel mehr Menschen möglich, bildgestaltende Fähigkeiten zu verwirklichen, was vorher eben nur Malern vorbehalten war.

Dabei ist das Feld der Malerei ja ein grundlegend menschliches Schaffen. Auch als Rezipient sieht man schließlich mit einem menschlichen Blick und individuellem Gefühl ein Bild an und beurteilt, wie es einem dabei ergeht. Ein Bild, das der Maler vorher mit irgendeinem bestimmten Gefühl visualisiert hat.

Roboter haben genau das nicht. Keine Geschichte, keine Prägung, wie sie die Welt bislang erfahren haben, kein fragiles Gemüt. Zwar sind die Pauls da vor mir in ihrer Leistung verschieden programmiert. Es sind am Ende aber eben doch keine Lebewesen, die Launen und Emotionen, wie sie ein echter Maler in sein Werk projizieren würde, übertragen können.

Anweisungen, um die Welt vor dem Bösen zu schützen

Der Name Dixit Algorizmi stammt übrigens aus der lateinischen Übersetzung von einem Schriftstück des persischen Universalgelehrten al-Chwarizmi von vor 2000 Jahren. Die sogenannten Cambridger Manuskripte. Sie beginnen mit genau diesen beiden Wörtern und bedeuten übersetzt: Algorithmus hat gesagt.

„Während die meisten bei ‚Algorithmus‘ direkt an Google, Facebook oder manipulierte Wahlen in den USA denken, sind Algorithmen im klassischen Sinne vielmehr Handlungsanweisungen nach einer Art von System“, erklärt Braun-Himmerich.

Wenn man sich in der Gesellschaft umschaut, würde man sich manchmal Handlungsanweisungen für sie wünschen. Und zwar ausschließlich solche, die die Welt vor dem Bösen schützen, sie zu einer besseren machen. Aber natürlich bleibt hier immer die Gefahr, dass der Konsens darüber, was denn gut und was schlecht ist, ignoriert wird.

Der Mensch bleibt eben doch Mensch. Und die Pauls bleiben: Pauls. Harmlose Roboter, die zu Papier bringen, was sie sehen, nachdem man sie angeknipst hat. Sie sind nun übrigens fertig mit mir, haben ihre Kameraköpfe nach unten gerichtet und die Ärmchen vom Blatt genommen, sind eingefahren.

Man fühlt sich nicht mehr beobachtet und irgendwie hat man fast etwas Mitleid mit ihnen, dass sie nur dann lebendig sein dürfen, wenn einer von uns es ihnen befiehlt. Macht es gut, ihr Pauls und seid nicht traurig!

Gallery Dixit Algorizmi Ackerstr. 163, Mitte, Termin: 0151/252 226 20. Zeichnen lassen ist kostenlos, wer eines seiner Porträts mitnehmen möchte, muss 100 Euro zahlen