Die Jury der Berliner Morgenpost hat zehn Inszenierungen für den Friedrich-Luft-Preis nominiert. Alle Stücke sind noch zu sehen.

2017 war das Theaterjahr der Neuanfänge. An der Volksbühne ging im Sommer die Ära Frank Castorf zu Ende, unfreiwillig räumte der Intendant nach 25 Jahren die Kommandobrücke. Geräuschloser ging der Wechsel am Berliner Ensemble über die Bühne, Oliver Reese übernahm das Haus am Schiffbauerdamm. Insgesamt sind zehn Inszenierungen für den Friedrich-Luft-Preis 2017 nominiert. Wir stellen die Anwärter auf den Theaterpreis der Berliner Morgenpost im Überblick vor. Alle Arbeiten stehen noch auf den Spielplänen der Bühnen in Berlin und Potsdam. Den Gewinner wird die Jury Ende Fe­bruar küren.

Der Hauptmann von Köpenick Dieser „Hauptmann“ ist in der neoliberalen Gegenwart angekommen. Dass Folkloristische des Stücks hat Regisseur Jan Bosse auf ein Minimum reduziert, die glitzernde Uniform, mit der Schuster Wilhelm Voigt am Ende ins Köpenicker Rathaus einmarschiert, erinnert mehr an Zirkus als an ein preußisches Prachtstück. Milan Peschel ist ein harter, unsentimentaler „Hauptmann“. Der am Anfang erst mal seine Bühne selbst aufbauen muss, einer von einigen kleinen ironischen Tupfern, Peschel hat schließlich als Bühnenarbeiter am Theater angefangen. Die Message des Stücks ist, etwas abgewandelt, zeitlos aktuell: ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung beziehungsweise keine gesellschaftliche Teilhabe – ein Teufelskreis. Der Schauwert dieser Aussage ist in dieser Inszenierung, die auch mit Video und Projektionen arbeitet, beträchtlich.

Deutsches Theater, wieder am 25. Januar (ausverkauft) und 17. und 26. Februar. Karten: 28 441-225

Roma Armee Das Maxim Gorki Theater hat bekanntlich ein Herz für Minderheiten und Randgruppen. Der neueste Coup von Hausregisseurin Yael Ronen ist „Roma Armee“. Und weil Authentizität zur DNA dieses Theaters gehört, wird das Stück gemeinsam mit den Akteuren entwickelt, die entweder zu dieser Volksgruppe gehören oder zumindest schon länger für die Rechte der Roma streiten. Herausgekommen ist ein recht schräger Abend mit Pailletten, Rüschen, Hotpants und anderen Fummeln auf der Bühne, wo gesungen – mit einer Zarah-Leander-Parodie geht’s los – gestritten und gelacht wird. Prallsattes Großstadttheater mit Botschaft.

Maxim Gorki Theater, wieder am 29./30. Januar, 20. Februar, Karten: 20221-115

Rio Reiser Wenn ein großartiger Theaterabend auch noch entsprechend beim Publikum ankommt, ist das umso erfreulicher: So ist das momentan am Potsdamer Hans Otto Theater bei „Rio Reiser“, einer Mischung aus biografisch-geprägtem Schauspiel und Livekonzert. Berliner pilgern nach Potsdam, aus Leipzig und Dresden reisen Menschen an – und auch viele Potsdamer entdecken ihr Theater neu. Im Mittelpunkt steht Moritz von Treuenfels, der Rio Reiser spielt – und wunderbar rau und verdammt gut singt. Eine Meisterleistung! Regisseur Frank Leo Schröder hat die Vorlage gestrafft und dem Publikum einen Abend beschert, der lange nachklingt.

Hans Otto Theater, Schiffbauergasse 11, Potsdam. Die Vorstellungen im Januar und Februar sind ausverkauft, im März wird am 5., 6., 11. und 24. gespielt. Karten: 0331/98 118

Phädra Phädra liebt. Und Corinna Harfouch stemmt sich dieser Liebe am Deutschen Theater mit Haut und Haar entgegen. Wie ihre Phädra ihr Begehren, das sich verbotenerweise auf ihren jungen Stiefsohn Hippolyt richtet, unter Kontrolle zu bringen sucht, wie sie sich müht, ihr Sehnen zu verstecken und dabei fast zu implodieren scheint, das ist unbedingt sehenswert. Und alles andere an dieser Inszenierung von Stephan Kimmig ebenfalls: Der weiße, leere Bühnenraum wird bei ihm zum Labor der Affekte, aus Racines Klassiker macht er mit einem starken Ensemble ein schnörkelloses, zeitloses Drama der unterdrückten Gefühle.

Deutsches Theater: 27.1., 10.2., 3.3., Karten: 28 441-225

Beben Die Welt vibriert. Wie das manche hören und andere komplett igno­rieren, beschreibt Maria Milisavljevic in ihrem Stück „Beben“. Es ist ein vielschichtiger Text über Krieg, emotionale Verrohung und medialen Overkill. Fürs Jugendtheater (hier ab 15 Jahren) ist er ursprünglich nicht geschrieben. Dass Volker Metzler damit seine erste Saison als neuer Schauspieldirektor am Theater an der Parkaue eröffnet, ist mutig. Ihm gelingt damit rasantes, forderndes Jugendtheater auf Augenhöhe, konzipiert für ein Publikum, das mit der Gleichzeitigkeit von allem und der Zersplitterung der Welt aufwächst.

Theater an der Parkaue: 19.1., 26.1., 28.2., Karten: 55 77 52 52

Tod eines Handlungsreisenden Träume sind fürs Leben ja oft ein bisschen zu groß. Bei Bastian Kraft sind sie riesengroß. In seiner Inszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ heftet er am Deutschen Theater den Protagonisten ihre Wünsche und auch die verpassten Chancen als gigantische Schatten an die Fersen. Da gibt es kein Entkommen. Vor allem nicht für Willy Loman, den gedemütigten Jedermann. Eine hervorragende Figur für Ulrich Matthes, der ihn als hilflosen Realitätsverweigerer anlegt und seinen stillen Abgang mit anrührender Unausweichlichkeit vorbereitet.

Deutsches Theater: wieder am 21.2., Karten: 28 441 225

Gespenster Zum Totentanz spielt die E-Gitarre auf: Bei Sebastian Hartmann sind die Wiedergänger los. Am Deutschen Theater zeigt er Henrik Ibsens Stück „Gespenster“, das er mit Motiven aus Strindbergs „Der Vater“ und Versen aus Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ vermengt. Der Abend besteht aus Schlaglichtern auf eine familiäre Gegenwart, die durch die Vergangenheit determiniert wird. Nicht linear erzählt, aber von großer atmosphärischer Dichte, ein ästhetischer Genuss voller Theaterschönheitsmomente. Die Geister, die man nicht loswird, sie verbünden sich in einem rätselhaften, düster-melancholischen Ewigkeitsreigen gegen uns. Und wir können nichts dagegen tun.

Deutsches Theater: wieder im April, genaues Datum bislang noch offen. Karten unter: 28 441 225

Human Traffic Es ist eine Geschichte aus unserer Gegenwart, die hier erzählt wird. Alexander Ebeert spielt den türkischen Schlepperjungen Gazâ, der dem Publikum seine Geschichte erzählt. Das Stück basiert auf dem 2016 auf Deutsch erschienenen Roman „Flucht“ von Hakan Günday. Regisseurin Nicole Oder hat diese Geschichte als sogenannte Live-Graphic-Novel inszeniert. Zeichnerin Bente Theuvsen illustriert mithilfe eines Overheadprojektors die Landschaftskulissen und sozialen Begegnungen. Daraus ergibt sich eine großartige Collage mit einer ganz eigenen Signatur – die ein helles Schlaglicht aus dem teuflischen Zusammenhang zwischen Armut und dem Schleppergeschäft wirft.

Heimathafen Neukölln: 20.1., 21.1., Karten: 56 82 13 40

Women in Trouble Eine beeindruckend, knallbunt ausgestattete Drehbühne mit vielen Flatscreens. Schauspieler mit Masken, die nur die Lippen bewegen, der Text kommt vom Band. Eine Geschichte über eine krebskranke Frau, aber auch über den gesellschaftlichen Umgang mit dem weiblichen Körper. In den Räumen des ehemaligen kathartischen Castorf-Theaters versucht sich Susanne Kennedy an etwas radikal Neuem: an der totalen Verkünstlichung. Alles ist hier Oberfläche, alles soll freundlich und konsumierbar sein. Vielleicht wirkt es deshalb so faszinierend abgründig?

Volksbühne Berlin: 20.1., 10.2., Karten: 24065 777

Rückkehr nach Reims In seinem Band „Rückkehr nach Reims“ schildert der französische Soziologe Didier Eri- bo­n die Rückkehr zu seinen Wurzeln in der Provinz – und macht am Rande Erklärungsmuster für den Erfolg des Rechtspopulismus in seinem Land erkennbar. Thomas Ostermeier lässt diesen Text in einem Tonstudio spielen, wo die Synchronfassung eines Films eingesprochen wird. Nina Hoss in der Rolle der Sprecherin unternimmt dabei auch einen Ausflug in die eigene Biografie: Sie erzählt von ihrem Vater Willi Hoss, der Gewerkschaftsführer war, die Grünen mitgründete und sich in Brasilien für die Erhaltung des Regenwaldes starkmachte. Ein intensiver Abend, der viele spannende Fragen aufwirft.

Schaubühne: 23.1., 24.1., 28.1., 29.01., 30.1., Karten: 89 00 23