Auf einer Tischplatte um die Welt. Berührungen im Dunkeln. Ein Affekt-Training für die Social-Media-Welt: Vielfalt ist Programm bei den Tanztagen Berlin. Traditionell beginnt mit dem Nachwuchsfestival in den Sophiensælen das Tanzjahr. Sieben Premieren und sieben Wiederaufnahmen stehen dieses Mal auf dem Spielplan.
Eröffnet werden die Tanztage 2018 von Helen Schröder und Die Neue Kompanie mit ihrem „Tanzatlas“. An vier Abenden umrunden die Performer und Performerinnen die Welt – alle Tanzaufführungen, die zugleich in einer Zeitzone stattfinden, bannen sie auf die Oberfläche eines Tisches, zappen sich in einstündigen Séancen etwa von Bangladesch nach Australien. Eine augenzwinkernde Allmachtsfantasie, denn es „tanzen“ Alltagsobjekte: Seifenschachteln formieren sich zu Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater, ein Ensemble aus Kugelschreibern und Eierbechern tanzt Kosakentänze. Entstanden ist der „Tanzatlas“ für das Hamburger Völkerkundemuseum, als Kommentar auf eine exotisierende ethnografische Aneignung von Welt.
Finster im wörtlichen Sinne wird es danach am Eröffnungsabend, der gleich vier Produktionen aufbietet: Im Dunkeln findet „Subjects of Position“ statt, eine Performance der Inklusionsinitiative „tanzfähig“ mit Zwoisy Mears-Clarke. Anders ausrichten müssen sich die Sinne, wenn die visuelle Wahrnehmung wegfällt. Mittels Berührung an Rücken und Armen werden die Zuschauer von den großteils blinden Performern durch den Raum gelotst, Bewegungen werden von Körper zu Körper weitergegeben. Nichts für Berührungsscheue: Was „normalerweise“ als Behinderung gilt, ist in einem anderen Kontext ein Vorteil. Auch wenn die Tanztage kein Thema haben, setzt die Kuratorin Anna Mülter hier einen Schwerpunkt: Differenz ist ihr ein Anliegen.
Zwei Arbeiten mit als behindert geltenden Performern hat sie programmiert. „Das sollte eine Normalität sein in einer großen Tanzszene wie in Berlin, aber das ist noch unterrepräsentiert“, sagt sie über ihr Förderanliegen. Auch Genderfragen stehen wieder im Fokus. Mit einer Frauenquote von zwei Dritteln dürften die Tanztage eines der wenigen Festivals sein, das die Geschlechterverteilung in der Tanzszene adäquat abbildet.
Als Nachwuchsfestival begleiten die Tanztage zudem nicht nur Einsteiger, sondern auch etablierte Talente auf dem Weg zur Choreografie. Unterhaltsam ist das choreografische Bootcamp, das Przemek Kaminski, Mateusz Szymanówka und Marta Ziółek mit „So Emotional“ einrichten: Emotionen, nicht Informationen, sind die Währung auf Social-Media-Plattformen. Stimmungen werden für politische Zielstellungen instrumentalisiert. Wie (über-)lebt man zwischen Fake News und Likes? Mit aktuellen Fragen wie diesen versprechen die Tanztage wie stets eine veritable Entdeckungstour – in zehn Tagen durch die Tanzwelt.