Der Berliner gilt als Verheißung und Enfant terrible des deutschen Theaters. Er inszeniert am Berliner Ensemble „Die letzte Station“.
Er gilt als „Verheißung des deutschen Theaters“ – so die Zeitschrift „Theater heute“ –, aber auch als Enfant terrible des Betriebs. An der Otto Falckenberg Schule, einer begehrten Ausbildungsstätte in München, hat Ersan Mondtag nach zwei Jahren sein Regiestudium geschmissen. Er gründete ein Performance-Kollektiv, eine Aktion fand auf dem Oktoberfest statt: In Burkas verhüllt zogen die Künstler über die Wiesn, an der Schießbude war dann Schluss, sie wurden zum Verlassen des Geländes aufgefordert. Mondtag zoffte sich mit dem Intendanten des Staatstheaters Kassel, wo seine Inszenierung „Tyrannis“ entstand, mit der er 2016 erstmals zum Theatertreffen eingeladen wurde. Er verbiegt sich nicht, ist meinungsstark und ziemlich selbstbewusst. Jetzt inszeniert er erstmals am Berliner Ensemble.
Die Geschichte in Kassel ging noch weiter. Der Regisseur kaufte sein Werk dem Theater ab, um es auf Gastspielen weiterhin zeigen zu können. Das ist eher ungewöhnlich, hat bei Ersan Mondtag aber Methode: „Ich nehme Produktionen, die mir wichtig sind, in meinen Besitz.“ Er baut sich ein Archiv mit „Schlüsselarbeiten“ auf.
Auch seine zweite Theatertreffen-Einladung, „Die Vernichtung“, die in diesem Frühjahr in Berlin zu sehen war, hat er sich gesichert, nachdem die bild- und soundmächtige Aufführung in Bern abgespielt war. Bühnenbild und Kostüme stammen von ihm, die Inszenierung – gelangweilte Hedonisten mit zackigen Sprüchen in einer Art Paradies – steigert sich zum lautstarken Rave. In Berlin gab es einen „Buhsturm, wie ich ihn noch nicht erlebt hatte“. Kürzlich war „Die Vernichtung“ in Belgrad zu sehen, wo sie „gefeiert wurde“. Dort „gibt es eine ganz andere politische Situation, aus der heraus das Publikum Theater rezipiert“, sagt der Regisseur.
Ein Musterbeispiel für Integration
Ersan Mondtag ist auch ein Musterbeispiel für Integration. Er kommt aus einer Gastarbeiterfamilie. Die Eltern lebten mit den drei Kindern in einer 60 bis 70 Quadratmeter großen Wohnung in Kreuzberg – die Angaben schwanken je nach Quelle, mit steigendem Ruhm scheint die Unterkunft zu schrumpfen. Als 13-Jähriger spielte er im Jugendklub des Nachbarschaftshauses Urbanstraße begeistert Theater. Ersan besuchte erst eine Haupt-, dann die Realschule und schließlich das Gymnasium. „Ich bin der Einzige in der Familie mit Abitur“, sagt Mondtag, und sein Familienbegriff schließt diverse Onkel und andere Verwandte mit ein.
Geboren wurde Ersan Mondtag 1987 als Ersan Aygün, die beiden Silben des Nachnamens bedeuten „Mond“ und „Tag“, erläutert der Regisseur. Die Umbenennung entstand mit „18 aus einer Identitätskrise heraus“, er wollte damit „einen biografischen Akzent setzen“. Denn im Rahmen eines Schüleraustausches hatte er „in den USA gelernt, dass ich deutsch bin“. Für die Amerikaner war das keine Frage: In Berlin geboren? Also Deutscher. Die „große amerikanische Illusion“ zerplatzte bei der Rückkehr am Flughafen Tegel, da war er wieder in der deutschen Migrationsrealität angekommen.
„Ich bin autoritär, wenns drauf ankommt“
Ersan Mondtag macht beim Gespräch einen sehr sympathischen Eindruck. Ihm kleben ja einige Etiketten an, eines davon ist „Autoritätsregie“. Er verweist erstmal lächelnd auf seine Lehrmeister, darunter Claus Peymann und Frank Castorf: „Da komme ich her, so habe ich das gelernt. Aber so bin ich nicht, das würden die Leute heute auch gar nicht mehr durchgehen lassen.“ Er habe überhaupt nichts dagegen, wenn Schauspieler eigene Ideen entwickeln. „Ich höre mir die Vorschläge an, nehme mir aber auch die Freiheit zu sagen: Danke, ich mache es anders. Ich bin autoritär, wenns drauf ankommt.“
Assistiert hat der 30-Jährige auch bei Thomas Langhoff und Vegard Vinge, der das legendäre „12-Sparten-Haus“w am Volksbühnen-Prater eingerichtet hat und damit auch Ersan Mondtag inspiriert hat. Auch der strebt zum Gesamtkunstwerk.
Er arbeitet 22 Projekte ab
Für „Die letzte Station“, die am Donnerstag am Berliner Ensemble uraufgeführt wird, hat er auch den Text geschrieben. In dem Stück geht es „um eine sterbende Frau“, aus dem Wald kommen komische Wesen, es gibt einen „Erinnerungsresonanzraum“. Das Leben in Seniorenresidenzen und die Situation in der Pflege fließt mit ein: „Es geht auch darum, wie man mit alten Menschen umgeht, die man in Heimen verrotten lässt.“ Und dann folgt einer dieser Sätze, mit denen er polarisiert: „Wenn man ehrlich wäre, würde man die erschießen.“
Seit der ersten Theatertreffen-Einladung ist Ersan Mondtag ein ziemlich gefragter Regisseur, er kann sich die Häuser aussuchen. Die kommenden Jahre ist er ausgebucht, weil er viel zugesagt hat: „22 Projekte“, die er derzeit abarbeitet. Drei Opern sind auch darunter, sein Musiktheaterdebüt gibt der Berliner zum Auftakt der neuen Saison in Freiburg mit „Macbeth“. Seine vorerst letzte Arbeit ist eine Inszenierung im Herbst 2019 am Berliner Ensemble: „Dann mache ich eine Bühnenpause, drehe meinen ersten Film“. Um danach vielleicht als Hausregisseur fest an ein Theater zu gehen? „Hausregisseur ist mir zu wenig Einfluss, lieber Intendant. Ich lasse mir aber noch ein bisschen Zeit, möchte erst mal ein paar andere Dinge erkunden.“