Mit „Beckenrand“ hat Constantin Klemm sein Debüt geschrieben – einen modernen Coming-of-Age-Roman, der seinesgleichen sucht
Er hat nie wirklich Frauen angesprochen. Er hat sich immer auf die konzentriert, die er schon kannte, oder er wurde angesprochen. So spricht der Protagonist Freddy zu Anfang des Romans „Beckenrand“ über sich selbst. Und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt. Freddy kommt aus Köln, hat gerade Abitur gemacht, freut sich auf sein Praktikum bei der SPD-Fraktion. Bis es so weit ist, macht er Urlaub mit seinem Freund Max.
Aus Kostengründen und der Bequemlichkeit halber im Haus seines Onkels und seiner Tante im andalusischen Marbella. Die Tage bestehen aus Autofahren, Strand, Pool und manchmal sogar Stadt-Land-Fluss-Spielen mit den Verwandten. Bis Freddy in einem Beach Club die Spanierin Penelope sieht und diese sofort anspricht. Es ist sein Schritt aus der Isolation, weg von seiner Exfreundin Jana. Bei der er sich irgendwann fragt, wann sie von seinem Sperrbildschirm verschwinden und ob er es eigentlich bewusst wahrnehmen wird.
Liebe, Interesse und Sehnsucht, das funktioniert hier über Handyfotos, Smartphones und Social Media. So sucht Freddy seine Penelope auch nach dem ersten flüchtigen Kennenlernen auf Facebook – wird aber leider nicht fündig. Alles Digitale steht dabei nicht für eine moderne Erleichterung des Alltags, sondern für ein Leben mit angezogener Handbremse. Ein Urlaub im Schutz des Ferienhauses. Erst als er nach einigem Nachdenken dieses für einen Trip nach Tanger im benachbarten Marokko mit Penelope und seinem Freund Max verlässt, bricht der Trott auf. Ab jetzt nimmt die Geschichte Fahrt auf. Penelope, die personifizierte Verführung, die „einen rot-lila Lippenstiftabdruck“ an ihrer Kaffeetasse hinterlässt, gehört Freddys ganze Aufmerksamkeit. Max hat dagegen die Spanierin Zaida mitgenommen.
Max und Freddy geben die typischen deutschen Jungs. Noch bevor etwas mit den beiden Mädchen in Tanger gelaufen ist, resümieren sie nüchtern: „Entscheidend ist, dass du aus dir rausgegangen bist.“ Die Eigeninitiative wird schon als Erfolg gewertet. Hinterfragt wird von Freddy so gut wie alles, jede Möglichkeit ausformuliert gedreht und gewendet. Ob Penelope ihn mag. Ob sie auf sein Geld aus ist. Ob sie sich langweilt. Ob die spanischen Männer sie langweilen. Am Ende wird Freddy eine Affäre mit ihr beginnen, aus der gedanklichen Defensive herauskommen.
„Beckenrand“ ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden und die Konsequenzen des eigenen Handels, die man als Heranwachsender tragen muss. Eine Geschichte wie sie schon oft geschrieben wurde. Constantin Klemm schafft es aber einen Sound zu erfinden, der seine Generation von jungen ambitionierten Männern gut einfängt. Sein Protagonist ist ständig verunsichert, denkt dann zu viel nach und macht trotzdem gravierende Fehler.
„Beckenrand“ ist das Roman-Debüt des 30-jährigen Constantin Klemms, der wie sein Protagonist aus Köln kommt und heute als Jurist in einer Berliner Anwaltskanzlei arbeitet. Sein Buch habe einen autobiografischen Ausgangspunkt, sagt er, aber nur in den ersten Seiten. Danach verliere sich das. Klemms Buch ist ein klassisches Beispiel für unser Zeitalter der Autofiktion, von dem auch Literaturkritiker sprechen – für die Fiktionalisierung und Entfremdung des eigenen Ichs im Protagonisten des eigenen Buchs. Bei dem Begriff „Befindlichkeitsliteratur“ könnte man es auch bei „Beckenrand“ – wie bei vielen anderen – belassen. Doch da ist noch mehr. Klemm kann Spannungsbögen erzählen, verschiedene Zeitebenen, eine ungeheuere Nähe zwischen Leser und Protagonisten schaffen. Er kann einfachen alltäglichen Zusammenhängen eine komplexe Interpretationsebene hinzufügen oder normale Situationen völlig grotesk aussehen lassen, nur indem er sie ausführt.
Der Roman endet dann sehr abrupt, auch das ist ein Stilmittel und wohl überlegt. Am Ende ist man etwas enttäuscht, dass es nicht weitergeht. Man will den Autor anrufen und fragen, was das soll. Ob er vielleicht ein paar Seiten vergessen hat.