Berlin. Wer am Dienstagabend einen Platz am roten Teppich vor der Staatsoper Unter den Linden erhaschen konnte, dem ist schnell klar: Diese Premiere ist von staatstragender Bedeutung. Zahlreiche Prominente kommen in das sanierte Opernhaus, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Kulturstaatsministerin Monika Grütters (beide CDU). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) flaniert mit Ehemann Joachim Sauer um 19.35 Uhr unter Beifall durch den Haupteingang.
Wer an diesem Dienstagabend in die Staatsoper will, muss, wenn schon nicht Blitzlichtgewitter wie die Promis, Flutlicht über sich ergehen lassen. Man sieht neben bundespolitischer Prominenz auch bekannte Gesichter wie TV-Talkerin Sandra Maischberger, Ex-BE-Intendant Claus Peymann und den Staatsoperntenor aus DDR-Zeiten Peter Schreier. Auch Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD), Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) fehlen an diesem besonderen Abend nicht.
Drinnen sieht auf den ersten Blick alles aus wie immer, jedenfalls solange die Saaltüren geschlossen sind. Das Garderobenfoyer, die Treppen, der Boden aus Marmor, es weckt alles die Erinnerungen, die seit sieben Jahren verblassten. Zunächst sieht man nur an einigen Türrahmen, dass etwas neu ist. Die sind nämlich frisch, beziehungsweise unvollkommen gestrichen. Wer sich dann unmittelbar vor die Saaltüren begibt, erlebt eine Überraschung. Die samtene Wandbespannung ist in allen drei Rängen unterschiedlich. Im Erdgeschoss altrosa, im ersten Stock dunkelrosa und im zweiten Stock, wenn man so etwas sagen darf, von einem etwas schmutzigen Grünton. Der dritte Rang ist champagnerfarben.
Im Saal fällt zunächst die gewölbte Decke auf, die wohl auch nicht zuletzt für die veränderte Akustik verantwortlich ist. Frank-Walter Steinmeier beginnt eine kurze, launige Rede mit ironischen Anspielungen auf die zeitliche Ausdehnung von Opernwerken. Michael Müller, nicht gerade als Opernfan bekannt, zeigt sich verständlicherweise erleichtert über die Fertigstellung des Baus. Monika Grütters endlich stellt die obligatorische Frage, ob sich das alles nun wegen der verbesserten Akustik gelohnt habe.
Als Generalmusikdirektor Daniel Barenboim mit dem Orchester in den Graben kommt und nach dem von Intendant Jürgen Flimm inszenierten Schauspielerprolog vor der Bühne die ersten Akkorde erklingen, spürt man durchaus den Unterschied zu früheren Zeiten. Die Staatsoper klingt nicht mehr nach Wohnzimmer, so viel kann man sehr schnell sagen. Es ist in keinem Moment mehr ein privater, sondern ein öffentlicher (genau: ein hauptstädtischer) Klang, der durchaus Intimitäten haben kann in innigen Momenten. Jedoch ist das Haus nun für die Sounds aller Musikepochen gerüstet. Das machen Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ sehr gut deutlich.
Selbst noch wenn der volle Chor etwas schrill an der Bühnenrampe singt, ergibt sich ein Mischverhältnis, in dem auch noch das Orchester zu hören ist. Die Sänger, allen voran die Staatsopern-Urgesteine Roman Trekel und René Pape, haben keine Mühe, sich gegen die so klangschön spielende Staatskapelle durchzusetzen. Es ist ein Genuss.
Oper für alle: Mit Campingstuhl auf dem Bebelplatz
Die Wiedereröffnung am Tag der Deutschen Einheit zieht trotz wechselhaften Wetters auch jene Musikliebhaber an, die keine Premierentickets bekommen hatten. Die Staatsoper lädt sie wieder zur „Oper für alle“ auf den Bebelplatz gleich neben dem Opernhaus ein.
Karin Recknagel, pensionierte Lehrerin aus Friedrichshain, will ganz sichergehen: Mittig vor der Großleinwand stellt sie um 18.30 Uhr ihren Campingstuhl auf den leeren Platz. Touristen umströmen die Absperrgitter vor der Oper, das nasse Kopfsteinpflaster glänzt. Recknagel blickt auf die schweren Wolken am Himmel. Sie ist vorbereitet, hat Regencape, Regenschirm und eine warme Decke in die Handtasche gepackt. Sie zeigt in Richtung des roten Teppichs, wo die ersten Blitzlichtgewitter zu sehen sind. Um Karten hatte sich die Rentnerin gar nicht erst bemüht. „Das ist ja heute nur für Auserwählte.“ Die Aufführung der neuen alten Staatsoper will sie dennoch nicht verpassen.
Vier Konzerte werden im Rahmen der Eröffnungswoche live auf dem Bebelplatz übertragen. Nach dem 8. Oktober kehrt dann aber auch in den restaurierten Konzertsaal wieder Stille ein. Denn die Bauarbeiten sind noch nicht beendet, es gibt technische Anlagen, die noch nicht vollständig von den Behörden genehmigt sind. Die erste Opernpremiere findet mit „Hänsel und Gretel“ am 8. Dezember statt.
Spätestens dann wird sich in Berlin die Frage stellen, wie sich die Gewichte zwischen den drei Opernhäusern der Stadt verschieben werden, wohin sich die Publikumsgunst wenden wird. Es dürfte der Staatsoper nicht schwerfallen, das Interesse der Berliner und Touristen, das ihr während der Jahre im Charlottenburger Exil, dem Schiller-Theater, abhandengekommen war, mit klangvollen und teuren Künstlernamen zurückzuerobern.
Und was geschieht jetzt mit dem Schiller-Theater nach dem Auszug der Staatsoper? Es bleibt ein Provisorium. Bis ein neues Theater am Kurfürstendamm steht, sollen dort die Kudamm-Bühnen einziehen. Ab dem Jahr 2022 wird wieder saniert, diesmal an der Komischen Oper an der Behrenstraße in Mitte. Als Ersatzbühne soll dann einmal mehr das Schiller-Theater an der Bismarckstraße herhalten. Jetzt regt sich Kritik an der Dauerzwischennutzung. So sprach sich am Dienstag der Grünen-Kulturexperte Daniel Wesener für ein langfristiges Konzept für das Schiller-Theater aus. Am kommenden Montag soll sich der Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses mit dem Thema beschäftigen.