Staatsoper

Musiker sind begeistert vom Sound der neuen alten Staatsoper

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Matthias Nöther
Generalmusikdirektor Daniel Barenboim im Saal der sanierten Staatsoper

Generalmusikdirektor Daniel Barenboim im Saal der sanierten Staatsoper

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Daniel Barenboim über Experimente und Sound der Staatsoper. Auf dem Bebelplatz dirigiert er jetzt für die Berliner.

Pünktlich zum Interview schlendert Daniel Barenboim in die Lobby des Hotel de Rome. Die neue alte Staatsoper sieht man von den Stufen aus von der Rückseite, sie strahlt nach Abschluss der äußeren Restaurierungsarbeiten in ihrem neobarocken Zartrosa. Barenboim kommt von den Proben zu Beethovens Neunter Sinfonie, jenem Werk, das am Sonnabendnachmittag auf dem Bebelplatz in Starbesetzung erklingen wird, unter anderem mit der Starsopranistin Diana Damrau als Gast sowie dem Urgestein des Staatsopern-Ensembles, dem Bass René Pape.

Offen und gratis ist das Event „Staatsoper für alle“ für sämtliche Berliner – diesmal jedoch nicht mehr vor einer Baustelle wie in den letzten Jahren, sondern, nach siebenjähriger Bauzeit, vor der spielfähigen Staatsoper mit umfassend modernisiertem Saal. Völlig spielfähig? Nein. Im April kam heraus, dass die erneuerte Brandschutzanlage in dem alten Knobelsdorff-Nachfolgebau noch nicht vollkommen ist. Der reguläre Spielbetrieb kann erst im Dezember aufgenommen werden, dann mit der Premiere von „Hänsel und Gretel“.

Sie haben die großen Komponisten ausprobiert

Ja, es sei einiges schiefgegangen, das könne er nicht bestreiten, sagt der Generalmusikdirektor. Die neu komponierte Oper „Saul“ von Wolfgang Rihm hätte es geben sollen. Barenboim bedauert die Verschiebung des Werks auf das Jahr 2021 sehr: „Erstens hätte ich gerne mit einer Uraufführung begonnen, aber leider ist Wolfgang Rihm erkrankt und konnte sie nicht zu Ende schreiben. Zweitens kann man mit etwas Neuem, Unbekanntem viel besser experimentieren.“

Und experimentieren mussten Barenboim und seine Staatskapelle in den letzten Tagen wie wohl nie zuvor in ihrer langen innigen Partnerschaft. Wenige Wochen nach ihrem Umzug aus dem Charlottenburger Schillertheater zurück in Berlins Mitte proben sie seit dem 11. September in der Staatsoper Unter den Linden: auf der Bühne, im Orchestergraben vor der Bühne, im erweiterten Orchestergraben unter der Bühne, im Probenzen­trum nebenan.

„Mein Freund Pierre Boulez sagte mal mit seiner wunderbar typischen Ironie: Der Akustiker ist wie der Wetterbericht im Fernsehen“, erinnert sich Barenboim. „Wenn der Wetterbericht sagt, am nächsten Tag wird es sonnig und warm, passiert das Gegenteil. Ich glaube nicht, dass Akustik eine perfekte Wissenschaft ist. Man muss immer alles ausprobieren.“

Und sie haben nahezu alles ausprobiert, jedenfalls idealtypisch: „Wir haben Mozart gespielt in einer kleinen Besetzung mit Klavier, dann Unterschiedliches aus Brahms-Sinfonien, dann etwas aus der Vierten von Bruckner. Etwas aus den ‚Images‘ von Debussy und aus Strawinskys ‚Sacre du Printemps‘.“ Ein Forte, ein Piano muss ein Orchester in jedem dieser Stücke anders spielen, und jedes wird in dem Saal auch wieder anders klingen.

Musiker vom Ergebnis begeistert

Die Musiker der Staatskapelle, so Barenboim, seien vom Ergebnis begeistert, gerade die älteren. Denn nach sieben Jahren im Ausweichquartier hat ein Generationswechsel stattgefunden: Längst nicht mehr alle Orchestermitglieder haben die Eigenheiten der Akustik im neobarocken Saal des DDR-Architekten Richard Paulick miterlebt. „Das Problem“, blickt Barenboim auf seine anderthalb Jahrzehnte im DDR-Gebäude zurück, „war nie das Klangvolumen, sondern der Nachhall. Die haben einen Akkord gespielt und der war sofort tot. So musste man künstlich die Akkorde länger spielen. Und es war sehr schwer, legato zu spielen.“

Mit seiner unnachgiebigen Forderung, einen Nachhall von mindestens 1,6 Sekunden zu erzeugen, habe er sich bei den Bauverantwortlichen nicht gerade beliebt gemacht, bemerkt Barenboim trocken und lässt keinen Zweifel daran, dass ihn das nicht besonders gejuckt hat. Es hat geklappt. „Und Sie wissen, es ist sehr schwierig, den richtigen Nachhall zu bekommen. Haben Sie zu wenig, stirbt der Ton sehr schnell. Haben Sie zuviel, verlieren Sie die Durchsichtigkeit.“ Barenboim hat nicht zuletzt beim Bau des Boulezsaals nebenan viel mit dem prominenten japanischen Akustiker Yasuhisa Toyota diskutiert und schöpft nun aus diesen Erfahrungen. Dass diese neue, besondere Spielzeit nun nicht mit Rihms „Saul“ eröffnet werden konnte – aus dieser Not hat Barenboim in seinen Augen eine Tugend gemacht: Robert Schumanns selten gespielte Szenen aus Goethes „Faust“ gibt es zur Eröffnung, Schauspieler verbinden die Szenen. Der Text ist dem Dirigenten in diesem Fall nicht weniger wichtig als die Musik. „,Faust‘ ist ein sehr deutsches Thema. Und das ist für das, was die Staatsoper repräsentieren soll, nicht unwichtig.“

Für Barenboim, daran lässt der seit 25 Jahren amtierende Generalmusikdirektor keinen Zweifel, muss die Staatsoper nach ihrer Wiedereröffnung mehr sein als ein repräsentatives Zen­trum Deutschlands. Sie muss auch ein geistiges sein, im vollen Bewusstsein aller historischen Widersprüche und nicht nur der baulichen Höhe- und Tiefpunkte, die sie schon erlebt hat.