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Späte Heimkehr: Jürgen Prochnow ist zurück in Berlin

| Lesedauer: 7 Minuten
Thomas Abeltshauser
Für seine jüngste Rolle musste der 76-Jährige auf 92 getrimmt werden: Jürgen Prochnow in „Leanders letzte Reise“

Für seine jüngste Rolle musste der 76-Jährige auf 92 getrimmt werden: Jürgen Prochnow in „Leanders letzte Reise“

Foto: TOBIS Film GmbH.

Filmstar Jürgen Prochnow über seine schwere Kindheit in Berlin, schmerzende Erinnerungen – und warum er Amerika den Rücken gekehrt hat.

Die Hotelsuite am Berliner Gendarmenmarkt ist von all den Scheinwerfern vorangegangener TV-Interviews überheizt, doch Jürgen Prochnow ist vom Fragemarathon an diesem Tag nichts anzumerken. Entspannt und zugleich hoch konzentriert steht der 76-jährige Schauspieler Rede und Antwort. In seinem neuen Film „Leanders letzte Reise“, der heute in die Kinos kommt, spielt der gebürtige Berliner einen 92-jährigen Kriegsveteran, der noch einmal in die Ukraine reist, um Frieden mit seiner Vergangenheit zu machen. Für den deutschen Hollywoodstar ist diese Altersrolle auch eine Art Heimkehr, wie er im Gespräch verrät.

Sie spielen einen 92-Jährigen, der sich mit seiner Vergangenheit aussöhnen will. Ist das eine Rolle, auf die man ein Leben lang wartet?

Jürgen Prochnow: Es ist schon eine Rolle, die mich sehr herausgefordert, aber auch gereizt hat. Sie hat viel mit mir selbst zu tun, mit meiner Kindheit und den Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin. Dieser Mann, den ich da spiele, gehört zur Generation meines Vaters, und es war mir ein Anliegen, mich mit dieser Zeit und meinen Erinnerungen daran auseinanderzusetzen. Da kamen Bilder wieder hoch und der Schmerz, den ich damals gespürt habe, aber auch die Liebe. Das habe ich versucht, in diese Rolle einzubringen.

Sie wurden 1941 in Berlin geboren. Welche Erinnerungen haben Sie noch an die Zeit?

Wir sind 1944 vor den immer schrecklicheren Luftangriffen auf Berlin zu den Eltern meiner Mutter nach Pommern geflüchtet. Von dort versuchten wir Anfang 1945 der einrückenden Sowjetarmee in Richtung Westen zu entkommen und kamen bis Mecklenburg. Die Dienststelle meines Vaters beim Berliner Reichspostzentralamt war nach Parchim ausgelagert worden. Dort wurde er gefangen genommen und in ein russisches Lager abtransportiert. Das sind die ersten bewussten Bilder meiner Kindheit. Und ich erinnere mich an das Aufwachsen im Berlin der ersten Nachkriegsjahre, wir lebten damals in Steglitz, mit dem Hunger, der Kälte und den Stromsperren.

Im Film wird in der Familie jahrzehntelang über die Kriegszeit geschwiegen. Hat Ihr Vater über diese Zeit und seine Gefangenschaft gesprochen?

Mein Vater hat nicht gerne darüber gesprochen. Er kam als gebrochener Mann zurück, wog gerade noch 92 Pfund, als wir ihn am Lehrter Bahnhof abholten. Auch diese Bilder, wie die deutschen Gefangenen aus dem Zug kamen, habe ich noch im Kopf. Er kam dann erst mal ein Jahr lang in ein Sanatorium, um wieder zu Kräften zu kommen, bevor ihm seine alte Stelle bei der Post wieder angeboten wurde. Aber das Amt war inzwischen in Ost-Berlin und da wollte er nicht hin, nachdem er gerade bei den Russen dem Tod von der Schippe gesprungen war. Er wurde dann nach Düsseldorf versetzt, als er eine Wohnung gefunden hatte, sind wir 1952 nachgezogen. Aber die Zeit bis dahin, meine Kindheit mit all den Entbehrungen, habe ich in Berlin verbracht. Das kam mit dem Film alles wieder hoch.

Hilft Ihnen das beim Schauspielen oder ist dieses Erinnern eher quälend?

Ich nutze diese Emotionen schon für die Rolle, das habe ich am Lee Strasberg Institute in Los Angeles gelernt. Die Gefühle gehören zu mir. Und es gibt Methoden, wie ich damit umgehe und es für eine Figur einsetze. So konfrontiert man den Zuschauer mit einer echten Empfindung. In diesem Fall war das eine sehr schmerzhafte Erfahrung, weil mir noch einmal der Verlust der Menschen bewusst wurde, die ich geliebt habe und die mich geliebt haben. Und zu dem gemacht haben, der ich heute bin.

Sie haben 2016 vor Ort in der Ukraine gedreht, der Konflikt auf dem Maidan wird auch im Film thematisiert. Welchen Eindruck hatten Sie von der Region?

Meine Frau hat zunächst gesagt: Du fährst da nicht hin, das ist viel zu gefährlich. Die Situation ist ja bis heute angespannt. Aber die Produktionsfirma beruhigte uns, man hatte Drehorte in Kiew und im Umkreis von etwa 100 Kilometern gefunden, das Krisengebiet um Donezk und Lugansk, in dem der Film spielt, liegt viel weiter östlich. Ich habe viel gelernt über die Lage dort. Wir spiegeln im Film auch ein wenig die Situation im Zweiten Weltkrieg und den Konflikt heute. Ich hoffe, dass das auch zum Nachdenken anregt angesichts der politischen Lage weltweit. Ich habe Krieg miterlebt, und er ist niemals die Lösung.

Nach dem Welterfolg von „Das Boot“ gingen Sie nach Hollywood und hatten dort eine sehr erfolgreiche Karriere. Seit 2004 besitzen Sie sowohl die deutsche als auch die US-Staatsbürgerschaft, wie erleben Sie als Immigrant das Trump-Amerika?

Ich bin froh, dass ich jetzt von dort weg bin. Ich hatte schon die acht Jahre unter Bush erlebt und mitbekommen, wie sich die Stimmung im Land verändert hat, wie Medien nach dem 11. September plötzlich ganz anders berichtet haben, auch damals wurden schon Lügen verbreitet, das war sehr bedrückend. Die Welt sähe heute ganz anders aus, wenn Al Gore damals Präsident geworden wäre.

Warum haben Sie den USA den Rücken gekehrt?

Das hatte zunächst private Gründe, weil meine Frau, mit der ich seit zweieinhalb Jahren verheiratet bin, dort nicht leben wollte. Sie hat auch prognostiziert, dass Trump gewinnt, ich hätte gewettet, dass er mit all den Lügen keine Chance hat. Ich habe dann dort noch gewählt, aber sein Sieg hat mir den Abschied sehr erleichtert. Seit Anfang April leben wir jetzt in Berlin, in Zehlendorf.

Haben Sie, wie Ihr Leander, noch offene Rechnungen? Gibt es Dinge, die Sie bereuen? Oder sind Sie mit Ihrer Vergangenheit im Reinen?

Sicherlich bereue ich einige Entscheidungen, die ich im Leben getroffen habe, oder den einen oder anderen Film, den ich gedreht habe, aber ich habe daraus gelernt und betrachte mein jetziges Leben als ein großes Geschenk. Ich fühle mich sehr wohl in meiner neuen alten Heimat, bin finanziell unabhängig und kann es mir erlauben, einen Film wie „Leanders letzte Reise“ zu drehen. Der Druck von früher ist weg, und das ist schön.