Jochen Hick stellt am 5. September seinen Film über die Berliner Schwulenbewegung im Zoo Palast vor. René Koch kommt auch zu Wort.
Zwei ältere Herren sitzen in der Paris Bar. Der eine will eigentlich schildern, wie er 1964 nach West-Berlin kam, mit nur einer Tasche, ohne Bleibe, und sich erst mal als Tellerwäscher und Barkeeper durchgeschlagen hat. Aber der andere unterbricht brüsk: „Was mich interessiert, ist dein Privatleben. Das war ja damals ganz schrecklich. Ist es heute immer noch schrecklich?“
Der eine ist Star-Visagist René Koch und will weitererzählen, aber der andere, Star-Coiffeur Udo Walz, lässt ihn nicht: „Wenn der hinterm Tresen stand, hat er sich immer so aufgespielt und war ein bisschen nuttös.“ Koch lächelt gequält, will ins Wort fallen. Umsonst. „Lass mich doch ausreden.... Dann hat er immer mehr Trinkgeld gekriegt. Er war jung und brauchte das Geld.“ Und beide lachen.
Wunderbar, wie sie miteinander frotzeln: Coiffeur Udo Walz und Visagist René Koch beim Plausch in der Paris Bar Salzgeber
Die Art, wie die Herren am Tisch da miteinander umgehen, ist eine Art Spiel. Eins, das sie nicht bloß für sich treiben, sondern vor laufender Kamera, für den Filmemacher Jochen Hick. Dessen Dokumentarfilm „Mein wunderbares West-Berlin“ handelt nicht, wie man meinen könnte, von der alten City-West im Allgemeinen, sondern von der schwulen Subkultur im Speziellen, die sich in Mauer-Zeiten freier entfalten konnte als in jeder anderen Stadt.
Ein faszinierender Blick auf das „andere“ Berlin und ein oft überraschendes Zeit-Bild. In der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“, in der der Zoo Palast und die Berliner Morgenpost an jedem ersten Dienstag im Monat einen genuinen Berlin-Film zeigen, wird Hick seinen Film am 5. September vorstellen und René Koch als Zeitzeugen mitbringen. Der wird diesmal wohl auch ausreden dürfen.
Illustre Zeitzeugen und seltenes Archivmaterial
Hick hat für seinen Film viele weitere Zeitzeugen besucht. Die Transsexuelle Romy Haag etwa, die in Berlin Ende der 70er-Jahre ihren berühmten Nachtclub eröffnet hat und frei erzählt, wie David Bowie bei und mit ihr lebte. Bis dann die Drogen kamen, und Iggy Popp. Und sie sie rausgeschmissen hat, weil sie das nicht ertragen konnte: „So haben sie dann die Wohnung in der Hauptstraße genommen.“ Der Künstler Salomé, einer der jungen Wilden, erzählt von Aktionen, wie sie in den 80er-Jahren im Fummel in die U-Bahn gingen, um in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden. Was damals nicht nur mutig, sondern auch nicht ungefährlich war.
„Ich kann mich an Szenen erinnern, wo man wirklich aus der U-Bahn springen musste, damit man keine aufs Maul bekommt. Und Skandalnudel Rosa von Praunheim erzählt, in Archivbildern aus den 70-ern und dann in hartem Schnitt 40 Jahre später: „Ich fühle mich nicht ganz wohl mit der Rolle, die ich spiele, so als freischaffende elitäre Tunte. Ich war ein Hassobjekt für viele.“

Jochen Hick hat sich zu einem echten Chronisten der deutschen und speziell Berliner Schwulengeschichte entwickelt. Seine Dokumentationen „Out in Ost-Berlin“ (2013) und „Der Ost-Komplex“ (2016) drehten sich um Homosexualität im Sozialismus. Sein jüngster Film, der in diesem Jahr herauskam, ist nun sozusagen das Vexierbild dazu. Hick hat dafür nicht nur illustre Interviewpartner gefunden, sondern auch Archivmaterial zusammengeklaubt aus vielen privaten Quellen und wenigen öffentlichen Archiven, wie dem Schwulen Museum.
Es ist eine echte Zeitreise, die der Film unternimmt. In die 60er-Jahre, als man seine Sexualität noch heimlich auslebte und mit Zuchthaus bestraft werden konnte, nach dem Paragraphen 175 aus der Kaiserzeit, der erst 1994 endgültig abgeschafft wurde. In die 70er-Jahre, wo sich, nach den Krawallen in der New Yorker Christopher Street und Roa von Praunheims epochalen Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, eine Protestkultur entwickelt. Man sieht in grobkörnigen Bildern eine Handvoll Menschen, die 1971 auf dem Kurfürstendamm gegen den Paragraphen 175 und gegen das Versteckspiel aufbegehren. Und wie es ab 1979, beim jährlichen Christopher Street Day, immer mehr werden.

Hick porträtiert viele Pioniere der Schwulenbewegung, die in Berlin die erste schwule Buchhandlung, den ersten schwulen Verlag, den ersten schwulen Filmpreis gründen – und mit dem „Anderen Ufer“ die erste Schwulenbar, bei der die Jalousien oben blieben. Der Film porträtiert, wie die Szene immer offener, immer selbstbewusster wurde. Bis dann AIDS aufkam. Eine Krankheit, die die Schwulen mehr denn je zu stigmatisieren drohte. Aber dann ist genau das Gegenteil eingetreten: weil so viele plötzlich einen toten Schwulen in der Familie hatten und das nicht mehr verbergen konnten oder wollten.
Hicks Film umreißt mit souveräner Lässigkeit diese drei Jahrzehnte. Seine Episoden sind dabei mal rasend komisch, mal tiefer Trash, mal zum Fremdschämen und dann wieder unheimlich bewegend. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte. Bleibt für Jochen Hick eigentlich nur, eine letzte, vierte Dokumentation zu drehen: dann über die Schwulenszene seit der Wiedervereinigung der Stadt.
Zoo Palast am Dienstag, 5.9. um 2o Uhr, in Anwesenheit von Regisseur Jochen Hick und Zeitzeuge René Koch. Die Tickets sind erhältlich im Internet unter der Adresse www.zoo-palast-berlin.de