Unerwartete Kombinationen sind Lea Moros Stärke, das Ineinander von Hochkultur und leichtgängigem Humor. Poptexte zu Vivaldi? Na klar! Und dazu Rollschuh fahren. Mahlers „Auferstehungssymphonie“ und als Deko kitschig-goldene Plastikpalmen? Aber sicher! Albern könnte all das wirken. Tut es aber nicht. Lässig gebietet Lea Moro über Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung.
Vivaldi ist der Popstar unter den Klassikern – also ist’s eine durchaus konsequente Lesart, seine „Vier Jahreszeiten“ zum Musical zu transformieren. Und die Plastikpalmen, die in „(b)reaching stillness“ zu Mahlers Pathosklang langsam luftleer in sich zusammensinken? Ein komisch-subtiles Sinnbild für das Werden und Vergehen, ein zeitgemäßes Memento mori.
Risikofreudig, selbstbewusst und lernbegierig
„Ich bin risikofreudig und baue mir gern meine eigenen Fallhöhen“, stellt sich Lea Moro beim Gespräch denn auch als erstes vor. Herausforderungen zu schaffen und sich an ihnen zu beweisen, darin besteht für die in Berlin ansässige Schweizer Tänzer-Choreographin ein großer Teil ihres Vergnügens am Bühnenschaffen. Ein anderer ist das Lernen: Das Rollschuhlaufen etwa hat sich die passionierte Skifahrerin eigens für ihr Vivaldi-Musical „The End of Alphabet“ beigebracht.
Wie man andere Menschen anleitet, lernte sie bei ihrer neuesten Produktion „FUN!“: Zu fünft stehen sie dort auf der Bühne, die Choreographie ist aus gemeinsamer Recherche und Improvisation entstanden. Solch ein Prozess will gesteuert werden. Offenbar mit Erfolg: Lea Moro, gerade einmal 30 Jahre alt, tourt mit ihren mittlerweile vier abendfüllenden Tanzproduktionen europaweit. Aufgebaut hat sie sich etwas, zielstrebig und „sehr ernsthaft arbeitend“, wie sie erklärt. Obwohl sie erst seit wenigen Jahren als Choreographin arbeitet, weiß sie schon, dass es dabei nicht bleiben soll: „Ich will in Bewegung bleiben und möchte nicht, dass meine Arbeitsweise zum Selbstläufer wird.“ Vorstellen könnte sie sich, später ein Theater oder Tanzhaus zu leiten. Selbstbewusst ist Lea Moro, auf angenehm zurückhaltende Weise.
Balltet für einen einzelnen Mann
Schon mit ihrem Solo „Sacre“ fiel Lea Moro auf. Entstanden ist es 2013 während ihres Studiums am Berliner Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz, anlässlich des 100. Jubiläums von „Le Sacre du Printemps“. Dieses bahnbrechende Orchester-Tanz-Werk von Igor Strawinsky und Vaslav Nijinsky feierte die Tanzwissenschaft der FU Berlin mit einem Symposium. Samt eigens beauftragtem Bühnenprogramm. Lea Moro bewarb sich und erhielt die Förderung. Mit lockerer Geste eroberte sie sich daraufhin die Bühne des HAU2. Und stellte sich eine unmögliche scheinende, aber künstlerisch ergiebige Frage: Wie kann man allein ein Ensemble verkörpern?
Mit wenig mehr als einer Perücke und einem T-Shirt verwandelt sich Moro in ihrem „Ballett für einen einzelnen Körper“ in den alten weisen Mann, die Hexe, einen Bären und natürlich das Opfer, von dem „Le Sacre du Printemps“ erzählt: Eine junge Frau wird, einem heidnischen Frühlingsbrauch folgend, auserkoren, sich zu Tode zu tanzen. Die Opferung inszeniert Moro als unablässiges, erschöpfendes Rennen rund um die Bühne – und dazu projiziert sie einen Song von Black Sabbath. Moment: Heavy Metal und eine Orchesterpartitur? Aber ja. Das Rituelle, die Archaik und die Gestik der Metal-Kultur schienen Lea Moro verwandt mit der hundert Jahre alten, zu ihrer Zeit revolutionären Inszenierung.
Heiteres Zusammendenken diverser Kunst-Kultur-Zitate
Erhellend und erheiternd gelang Lea Moro das Zusammendenken diverser Kunst-Kultur-Zitate auch in „(b)reaching stillness“, ihrer ersten vom Berliner Senat geförderten Choreographie. 2015 entstanden diese Assoziationen zu Gustav Mahler, barocken Stillleben, Vergehen und Auferstehen, Premiere feierten sie in den Sophiensälen. Da flappten Moro (die bislang in all ihren Choreographien mittanzt) und ihre beiden Tänzerkollegen auf der Bühne herum wie Amphibien beim Landgang, die Plastikpalmen neigten sich fröhlich-trostlos und all das war: ein mit urkomischen Popzitaten durchsetztes Nachdenken über Vergänglichkeit und Neuentstehen.
Dem Sezieren populärer Kultur hat sich die Choreographin nun erneut zugewandt: „FUN!“ fragt nach der Herstellbarkeit von Spaß. Gezeigt wird der in Zürich uraufgeführte Parcours durch eine Folge imaginierter Jahrsmarktsattraktionen zum Auftakt von Tanz im August. „Happiness is our business“ singen die fünf Darsteller fröhlich schmetternd. Mit Farbkreisen im Gesicht und schrägen Kartonskulpturen auf dem Kopf wirken sie wie sehr ernste Kinder oder betont witzige Angestellte. Ob das Clowneske sich Moros Ausbildung an der Artistenschule Accademia Teatro Dimitri verdankt?
Damit „FUN!“ keine glattpolierte Nummernrevue wird, setzt die Schweizerin bewusst Brüche: Ein konventionell durchgezählter, mitreißender Jazz Dance endet, bevor irgendwer im Publikum mitklatschen kann. Der Teller wird weggezogen, bevor man aufgegessen hat, beschrieb das ein Zuschauer. Dramaturgisch macht es Sinn, schließlich will Lea Moro die Strategien der Unterhaltungsindustrie nicht bedienen, sondern zeigen, wie Spaß produziert wird. Wenn die Performer einer Zuschauerin in der ersten Reihe einen Geburtstagssong singen, dann ist das: ihr täglicher Job, routiniert abgespult – und doch auch ein anrührendes, individuell unterschiedlich aufgenommenes Ereignis. Da ist sie wieder, die Kombination von scheinbar Widersprüchlichem. Ambivalenzen als Markenkern: „Das sind keine Kontraste, sondern Momente, die beides sind“, beschreibt Moro ihren Ansatz. „Sie bleiben ambivalent. Das Publikum muss sich für eine Reaktion entscheiden.“ Bei Tanz im August gibt es Gelegenheit dazu.