Die Zettel mit der Setlist werden erst ganz spät reingereicht, da ist gerade noch Zeit für die Crew, sie auf dem Bühnenboden festzukleben – schon geht das Licht aus und Ryan Adams ist da, mitsamt Band. Jedes Konzert der aktuellen Tour läuft ein wenig anders: ein Song mehr vom aktuellen Album „Prisoner“, eins weniger von Klassikern wie „Gold“ oder noch eins von „Heartbreaker“. Von Routine ist Ryan Adams allgemein weit entfernt an diesem Abend im Tempodrom.
Wer dieser weitgehend seelenlosen Halle sowas wie Wärme einzuhauchen vermag, muss schon dafür einen Preis verliehen bekommen. Ryan Adams kriegt außerdem den Verschwitzter-Mitt-70er-Rock-Award, verliehen von der Neil-Young-Gesellschaft „Zur jaulenden Gitarre“. Angefangen beim Bühnenbild – überlebensgroße Fender-Verstärker neben einem Sammelsurium alter Computerbildschirme – über die zahlreichen Gitarrenmodelle, die ihm um den Holzfällerhemd-verpackten Hals gehängt werden, ist das Konzert eine einzige Hommage an die Americana des Kanadiers Young. Dazu kommt eine Prise Grateful Dead, ein Schuss Gram Parsons und eine Messerspitze Bruce Spingsteen. So viel waschechte Rock-Nostalgie war selten.
Das Publikum besteht dann auch – neben einigen Hipstern und vielen Langzeitstudenten, die in Wirklichkeit vermutlich längst Chefinnen mittelständiger Unternehmen sind – aus ein paar weißhaarigen Rock’n’Roll-Rentnern. Männerquote: 2 zu 1. Eher berufsjugendlich kommt Ryan Adams selbst daher: stark rausgewachsen Frisur, die ihm immer wieder die Sicht verstellt, unterm Hemd ein T-Shirt der Thrash-Metal-Band Slayer, das Mikro ein bisschen zu hoch gestellt, damit er in Noel-Gallagher-Manier das Kinn immer leicht hochrecken muss. So eine Was-kost-die-Welt-Haltung, mit der er alle Euphorie und Melancholie seiner Texte ins Tempodrom röhrt als sei’s ein Roadhouse irgendwo im mittleren Westen der USA, kurz vorm Nirgendwo.
Konsequent auf Schweinerock getrimmt
Das Erstaunliche aber ist, dass Ryan Adams es schafft, seine überklassische Musik, die manchmal klingt, als sei sie komplett aus Anleihen und Zitaten zusammengesetzt, wie direkten persönlichen Ausdruck klingen zu lassen. Postmoderner Erinnerungsrock als Authentizität. Kann sein, weil er mit Mitte 40 schon eine Weile im Geschäft ist, und genau weiß, was er da tut. Kann aber auch sein, weil Adams ein ausgesprochener Vielschreiber ist – jemand, der im konstanten Arbeiten die Tradition einfach verdaut.
Bis auf wenige Songs gegen Ende federt Adams makellose Band bei gutem Livesound im Schritttempo durch den Abend. Die Arrangements sind konsequent auf Schweinerock getrimmt, das erzeugt eine geschlossene Schönheit. Streckenweise ermüdet es aber auch. Dann hat man das Gefühl, man könnte locker für eine Zigarettenlänge nach draußen gehen und würde nichts Besonderes verpassen. „Magnolia Mountain / Cold Roses“ etwa dauert gefühlte 20 Minuten, und nach der Hälfte hat man das historisch Ungebrochene der verpeilten Keyboard- und Gitarren-Soli kapiert. Im Saal fangen die Pärchen beim Schwoofen an zu quatschen, oder zu knutschen, je nach Temperament.
Ryan Adams steht ganz vorn am Bühnenrand, wirft sich gefährlich weit ins Hohlkreuz, reißt den Gitarrenhals hoch und ruft so was wie „Alright, let’s let it rock!“. Und weiter geht’s, zum nächsten Stück. Wer so viel Material raushaut, muss nicht nur Treffer landen. Und bei allem, was sein Songwriting dann doch von den vom ihm Bewunderten separiert, ist Ryan Adams nicht bloß ein Handwerker, sondern auch beseelt. Zur Zugabe, dem exemplarischen, hymnischen „Come pick me up“, bringt er von Backstage einen Kehrbesen mit – spontan, zum Spaß und völlig nutzlos. Vielleicht ist seine Musik im Kern genau so. Und vielleicht muss das genau so sein.