Ralph Gleis ist der neue Leiter der Alten Nationalgalerie. Was will er ändern? Ein Treffen im Haus auf der Museumsinsel

Ralph Gleis möchte uns zuerst durch die Alte Nationalgalerie führen. Der neue Leiter des Hauses zeigt uns Adolph Menzels nackten „Fuß“, ein kleines Gemälde, an dem wir wahrscheinlich vorbeigezogen wären. Gleis, Jahrgang 1973, schwärmt davon, wie der Künstler hier jedes Äderchen, jeden Zehennagel gemalt hat. Er kann das sehr anschaulich erklären. Schließlich landen wir im Depot des Museums. Gleis, geboren in Münster, war zuletzt Kurator im Wien Museum.

Die Alte Nationalgalerie gilt als Traummuseum. Geht Ihnen das auch so?

Ralph Gleis: Absolut. Das Haus verkörpert die perfekte Trias von Architektur, Skulptur und Malerei. Das Museum wurde gebaut, um genau diese Sammlung zu beherbergen und zu zeigen. Da spielen die Künste fantastisch ineinander: Man hat hier die Gemälde und Skulpturen aus dem 19. Jahrhundert und andererseits eine Architektur, die versucht, die Sammlung optimal zu präsentieren.

Was wollen Sie ändern, was war Ihr zentraler Punkt für Ihre Bewerbung?

Das Haus steht als eine altehrwürdige Kulturinstitution wunderbar da, aber es braucht weiterhin einen frischen Blick und einen progressiven Ansatz, um in einer Relektüre der Sammlung auch verborgenen Schätze des 19. Jahrhunderts wieder zum Glänzen zu bringen. Darüber hinaus bin ich mit einem großen Ideenpaket bezüglich des Ausstellungsprogramms hergekommen.

Und wie sieht das konkret aus? Derzeit läuft in den Häusern der Museumsinsel das Projekt „Neue Nachbarn“. In der Alten Nationalgalerie sehen wir die Landschaften von Caspar David Friedrich in Kombination mit japanischen Stellschirmen, die eine ähnliche Landschaftsauffassung zeigen. Ist das so eine Idee?

Ein sehr gutes Beispiel. Die „Neuen Nachbarn“ zeigen einen Ansatzpunkt, den ich gerne weiter verfolgen möchte – nämlich den globalen Blick auf die Sammlung. Dieser Austausch soll noch ausgebaut werden. Schon in der Gründungszeit war die Sammlung der Alten Nationalgalerie keine nationale Nabelschau, sondern im europäischen Kontext verortet. Die Künstler des 19. Jahrhunderts waren selbst oft weit gereist und sich der Kunst anderer Länder sehr bewusst.

Sie sind einer der neuen Leiter in der Riege der Museumschefs, die verjüngen sollen. Was ist die größte Herausforderung? Sie müssen für die nächste Generation mitdenken, die andere Sehgewohnheiten hat. Und die Digitalisierung gehört dazu.

Wir sprechen von einer ganzheitlichen digitalen Strategie, Digitalisierung wird in Museen lange schon betrieben. Die Kunstwerke wurden digital bearbeitet und sind online verfügbar. Darüber hinaus kann man sich für die Zukunft viele Anwendungen vorstellen, die ein junges Publikum auch außerhalb des Museums für diese Kunst interessiert. Trotz dieser Angebote bleibt aber der Besuch des Museums Kern des Ganzen. Die unmittelbare Begegnung mit der Kunst ist durch nichts zu ersetzen und kann am Computer so nicht erlebt werden. Die Herausforderung ist, die für viele verschüttete Moderne des 19. Jahrhunderts wieder sichtbar zu machen. Dort beginnen viele der Phänomene, mit denen wir selbstverständlich umgehen. Die Alte Nationalgalerie zeigt also nicht die Kunst vor der Moderne, sondern ich begreife das 19. Jahrhundert bereits als Inkubationszeit und Frühphase unserer heutigen Welt.

Was meinen Sie?

Wir planen für 2018 beispielsweise eine große Ausstellung zum Thema des Wanderns, in der wir thematisch das ganze 19. Jahrhundert von Caspar David Friedrich bis van Gogh durchqueren. Das Wandern ist ein Motiv, das in der Brückenzeit zum 19. Jahrhundert entstand. Es bezeichnet eine völlig neue Kulturtechnik, die sich entfaltete, als die gesellschaftlichen Entwicklungen sich im Zuge der Industrialisierung unglaublich beschleunigten. Als Gegenbewegung entstand die Tendenz der Entschleunigung, um sich selbst als Individuum zu finden. Diese Aspekte sind bis heute aktuell. Wir kommen uns heute im digitalen Zeitalter oft vor, als würden wir im Strudel der Zeit kreisen, genau dieses Gefühl ergriff die Menschen bereits nach der Französischen Revolution. Deshalb ist es spannend, sich diesen Zeiten einmal zuzuwenden, zu schauen, wie diese damals eigentlich wahrgenommen wurden – und wo es uns letztlich hingeführt hat.

Auf was dürfen sich die Besucher künftig einstellen, wenn sie die Alte Nationalgalerie besuchen?

Es geht darum, nicht dem Kanon verhaftet zu bleiben, sondern sich über althergebrachte kunsthistorische Epocheneinteilungen einmal hinwegzusetzen und interdisziplinär zu arbeiten. Im Herbst werden wir anlässlich des 100. Todestages von Auguste Rodin eine Ausstellung mit dem Titel „Rodin- Rilke-Hofmannsthal. Der Mensch und sein Genius“ zeigen. Ein Jahrhundertkünstler, vom dem wir Schlüsselwerke besitzen, aber auch eine wenig beachtete, nur 40 Zentimeter große Bronze. Das Besondere daran ist, dass dieses Werk tatsächlich als Inspirationsquelle für Literaten gedient hat. Die Bronze stand 20 Jahre lang auf dem Schreibtisch von Hugo von Hofmannsthal. Nachher schrieb Rainer Maria Rilke ein Gedicht zu eben diesem Werk. Der Dichter war es auch, der die Bronze an eine Schweizer Sammlung vermittelte, als Hofmannsthal völlig abgebrannt war und Geldsorgen hatte. Danach kam es an die Nationalgalerie. Um dieses Werk gruppieren wir eine Ausstellung, die Literatur, Fotografie und Grafik miteinbezieht. Das ist so ein interdisziplinärer Ansatz, wie ich ihn mir vorstelle.

Stärker als ihr Vorgänger werden Sie künftig mit der Konkurrenz vom Humboldt Forum zu tun haben. Hinzu kommt das geplante Museum der Moderne am Kulturforum.

Wir werden auf der Museumsinsel nicht in die Konkurrenz gedrängt, sondern bekommen mit dem Humboldt Forum einen neuen Partner, der die kulturelle Mitte Berlins noch einmal stärkt. Die Dynamik, die sich ergibt, ist wunderbar für unsere Arbeit. Sie wirkt als Impulsgeber zurück. Das Haus wird im Prinzip dazu animiert, sich zu öffnen. Es macht Spaß sich zu überlegen, wie so ein Dialog funktionieren kann. Dazu ist die aktuelle Schau „Neue Nachbarn“ meines Erachtens ein gelungener Testballon.

Als Sie am ersten Tag im Museum ankamen, gab es da einen besonderen Moment?

Ich war wahnsinnig gespannt, alle Depots zu sehen. Selbst als Forscher ist das nur punktuell möglich, wenn man einen konkreten Anlass hat. Die Fülle der Sammlung, die sich in den Depots auftut, lässt ein Kunsthistoriker-Herz wirklich höher schlagen. Die Qualität der Objekte ist so enorm hoch, egal ob im Bereich Skulptur oder Malerei. Wenn Sie eine der Ziehwände im Depot rausziehen, sehen Sie fantastische Werke. Da juckt es einen schon in den Fingern, mit diesem tollen Material neue Ausstellungen zu machen.

Könnten Sie sich eine After-Work-Bar vorstellen, um ein junges Publikum anzuziehen?

Temporär gibt es diesen Sommer tatsächlich eine Kolonnaden-Bar im Kontext des Projektes „Connections“, das aber nicht nur Getränke, sondern auch museumsbezogene Inhalte bietet. Wir sind hier auf der Museumsinsel mitten im Herzen von Berlin und der fantastische Innenhof lädt zum Verweilen und Relaxen ein. Gerade die Kolonnaden werden von vielen als sehr angenehm empfunden, da sie eine Art Ruhepol gegenüber der hektischen Stadt darstellen, aber die eigentliche Attraktion ist natürlich das Museum.

Für die jungen Leute auch?

Das ist unterschiedlich zu beantworten und keine Frage des Alters. (lacht, gerade gehen zwei junge Frauen an uns vorbei) Unsere Altersstruktur ist jedenfalls durchaus sehr gemischt. Wir haben das Glück, dass wir touristisch einen sehr guten Zuspruch haben. Das heißt aber nicht, dass Angebote nicht noch ausgebaut werden könnten. Vermittlung ist ein wichtiges Thema, da kann noch viel geschehen, um auch die nächsten Generation für das 19. Jahrhundert zu interessieren.