Puccinis „Tosca“ wird zum filmreifen Publikumsreißer

Eine Tosca, die sich das Gehirn mit einem Bolzenschussgerät wegbläst, anstatt sich wie eh und je von der Burgmauer zu stürzen? Nicht zuletzt wegen dieses provozierenden Regieeinfalls von Philipp Himmelmann hatte es bei den diesjährigen Baden-Badener Osterfestspielen der Berliner Philharmoniker heftige Buhs gehagelt. Umso erfreulicher nun, dass das Orchester zwei Wochen später mit einem konzertanten Nachschlag von Puccinis „Tosca“ in die Hauptstadt zurückkehrt. Zumal die Musiker, ganz unabhängig von der umstrittenen Inszenierung, mit kräftigem Rückenwind in der Philharmonie landen.

Und diesen Rückenwind nutzt Chefdirigent Sir Simon Rattle umgehend, um Puccinis Oper als filmreifen Publikumsreißer zu präsentieren – mit allen psychologischen Tricks, allen Schockeffekten und vor allem einem Orchester, das so flexibel wie schon lange nicht mehr agiert. Es ist ein Puccini der ausgereizten Extreme – von brutalsten Tutti-Attacken bis zum säuselnden sechsfachen Piano, vom sentimentalen Kitsch bis zum knochentrockenen Expressionismus. Interessanterweise lässt Rattle die zweiten Geigen links vorne vor den ersten Geigen spielen, eine Maßnahme, die zu einer wesentlichen Verdunklung des Streicherklangs führt und lange Schatten auf jene berühmte blutige Dreiecksgeschichte wirft, in der Liebe und Erpressung, Verrat und Mord so grausam verkettet sind.

Rattle durchdringt die Partitur auf äußerst raffinierte und zugleich tiefschürfende Weise. Grandios lässt Rattle die Philharmoniker auftrumpfen. Die Sänger geraten dabei allerdings einmal mehr in Gefahr, ihre Stimmen zu schädigen – ein bekanntes Rattle-Problem. Denn Rücksicht auf die physiologischen Grenzen des Gesangsensembles nimmt Rattle nur selten. Noch am besten kommt die lettische Sopranistin Kristine Opolais als Tosca mit den Orchestergewalten zurecht. Dank ausgefeilter Technik, hoher Stimmintelligenz und geschickter Kräfteeinteilung merkt man ihr sogar kaum an, dass es bereits ihre fünfte Aufführung mit den Philharmonikern in diesem Monat ist.

Stefano La Colla singt den Maler Cavaradossi, Toscas Liebhaber, zwar mit sehr schöner, zu Herzen gehender Stimme, inklusive spätromantischem Tenorschmelz. Dies allerdings ohne ausgewogene Stimmkultur und technische Absicherung, sodass Verschleißerscheinun- gen schnell hörbar werden. Und Scarpia, einer der Paradebösewichte der Operngeschichte? Evgeny Nikitin gestaltet ihn im ersten Akt dermaßen überzeugend, mit so viel Größe und Weite in der Stimme, dass man die Oper zwischenzeitlich am liebsten in „Scarpia“ umtaufen möchte.