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Depeche Mode-Sänger Dave Gahan: „Eine lohnende kleine Qual“

| Lesedauer: 6 Minuten
Steffen Rüth
Dave Gahan

Dave Gahan

Foto: REUTERS / INTS KALNINS / REUTERS

Die britische Band bringt ihr neues Album „Spirit“ auf den Markt. Ein Gespräch mit Sänger Dave Gahan.

So düster, bedrohlich und hoffnungslos wie auf ihrem 14. Studioalbum „Spirit“ klangen Dave Gahan, Martin Gore und Andy Fletcher wohl noch nie in ihrer mehr als 35 Jahre währenden Weltkarriere. Und so packend auch lange nicht mehr. Die Platte hat richtig Biss, ist vielschichtig und komplex. Erneut stammt der Großteil der Songs von Gore, aber auch Gahan hat wieder vier Stücke beigetragen, das schwülstig-brachiale „You Move“ ist eine Gemeinschaftskomposition der beiden. Wir sprachen mit Sänger Dave Gahan.

Mr. Gahan, die Grundstimmung auf „Spirit“ ist dunkel, traurig und wütend. Ist das Album ein Ausdruck von Sorge, Angst und Frust angesichts der Entwicklungen der Welt? Warum so negativ?

Dave Gahan: Weil wir frustriert und verunsichert sind. Wo soll es hingehen? Wem sollen wir glauben, wem folgen? Es ist kaum möglich, nicht betroffen zu sein von allem, was du im Fernsehen siehst und was du liest. Diese Polarisierung, befeuert von Politikern wie Donald Trump, ist der Wahnsinn. Ich bin naiv, aber warum können wir alle uns nicht einfach gegenseitig tolerieren und akzeptieren?

Andy Fletcher wohnt in London, Martin Gore in Santa Barbara, Sie selbst seit vielen Jahren in Manhattan ...

Das ist kein Zufall. Wir haben uns alle drei in liberalen Enklaven niedergelassen. Dort leben wir sehr gern. Wir sind gesegnet, haben Möglichkeiten im Überfluss, aber das heißt nicht, dass wir uns nicht für das interessieren, was um uns herum passiert. Diese Themen haben sehr bewusst auch ihren Weg auf das neue Album gefunden.

Ihre Tochter wird im Juli 18. Sind Sie besorgt, in welcher Welt sie mal leben wird?

Absolut. Die Frage stelle ich mir auch in Bezug auf meine bereits erwachsenen Söhne. Du willst, dass die Kinder geborgen und in Freiheit aufwachsen. Dass sie sich entscheiden können, wie sie leben wollen. Die Angst, die von Politikern wie Trump verbreitet wird, ist irreal, verrückt. Niemandem ist gedient, wenn auf Minderheiten herumgehackt wird. Überall auf der Welt wollen die Menschen in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben.

Werden Sie den Marx-Gedächtnisbart aus dem Videoclip auf der Bühne tragen?

Oh nein. Einmal und nie wieder. Ich bringe Ihnen den Bart mit nach Deutschland, wenn Sie möchten.

Ja, gern. Sie verbringen ja fast den halben Sommer bei uns.

Das ist korrekt. Und im Winter werden wir wohl auch noch mal hier auf der Matte stehen. Ich finde das schon ziemlich ordentlich, dass wir über eine Million Tickets für die Tour verkauft haben, obwohl das Album noch nicht raus ist.

Sie klingen überrascht. Vertrauen die Leute Depeche Mode nicht ohnehin blind?

Du musst dich immer wieder neu bewerben und behaupten. Selbstverständlich ist nichts. Natürlich ist ein Vertrauensvorschuss schön, aber die Qualität des Albums sollte dieses Vertrauen unterfüttern und bestätigen. Sonst sind die Leute enttäuscht.

Es scheint, als ob der Respekt, der Depeche Mode entgegengebracht wird, von Album zu Album zunimmt. Ganz früher galten Sie als Teenieband, inzwischen sind Sie quasi Ikonen geworden. Liegt das am Alter?

Auch. Aber nicht nur. Nach all den Jahren ist es für uns kritisch wichtig, ein Album zu machen, das standhalten kann. Das es wert ist, mit der Musik, die wir über die Jahre gemacht haben, in einer Reihe zu stehen. Nach 35 Jahren deine kreativen Grenzen zu verschieben, ist nicht einfach und manchmal unbequem. Aber das ist eine lohnende kleine Qual, und eine Alternative sehe ich nicht.

Wie fühlen Sie sich selbst mit „Spirit“?

Es war eine sehr richtige Entscheidung für uns, die Räder neu in Bewegung zu setzen und mit James Ford einen Produzenten zu verpflichten, der mit frischem Ohr an Depeche Mode heranging. James ist nicht nur ein hervorragender Produzent, er hat auch Martin und mich noch einmal enger zusammengebracht. Außerdem spielt er fantastisch Schlagzeug und Gitarre und versteht von Synthesizern so viel wie kaum ein Mensch sonst. Er war eine hervorragende Ergänzung.

Was machen Sie eigentlich nach den Konzerten?

Direkt danach nichts mehr. Am nächsten Tag versuche ich mich zu erholen, wir haben mindestens einen Tag Pause zwischen Auftritten. Ich sehe zu, dass ich etwas spazieren gehen kann, am liebsten in den Städten, die ich schon kenne. Berlin zum Beispiel ist eine ganz spezielle, einzigartige Stadt für mich. Das ist die Stadt, in der wir aufgewachsen sind und die uns immer sehr unterstützt hat.

Inwiefern aufgewachsen?

Wir kamen schon sehr früh nach Berlin. 1983 haben wir in den „Hansa Studios“ unser Album „Construction Time Again“ aufgenommen. Auch später haben wir häufig hier gearbeitet. Wir guckten der Stadt dabei zu, wie sie sich veränderte, wie die Mauer fiel, wir waren stets fasziniert von der Dynamik, der Spannung in der Stadt. Eine Show in Berlin ist für uns immer wie eine riesengroße Geburtstagsfeier.

Das Album: Depeche Mode: „Spirit“ (Sony Music). Ab 17. März im Handel.

Das Konzert:
22. Juni , 19.45 Uhr, Olympiastadion.

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