Interview

Simone Kermes: „Wer geht heute schon noch in die Oper?“

| Lesedauer: 7 Minuten
Christoph Forsthoff
Will immer das passende Kleid zur Musik tragen: Sopranistin Simone Kermes

Will immer das passende Kleid zur Musik tragen: Sopranistin Simone Kermes

Foto: Gregor Hohenberg

Am Dienstag tritt sie im Konzerthaus auf: Simone Kermes ist die Lady Gaga der Klassik. Und glaubt nicht mehr an deren Zukunft.

„Die Oper ist am Ende.“ Das hat Simone Kermes schon mehrfach postuliert. Ausgerechnet jene gefeierte Koloratursopranistin, die bei ihren Programmen mit Perücken, Kostümen und Tänzern immer selbst großes Kino fürs Auge bietet. Im Gespräch gedenkt die „Lady Gaga der Klassik“ nicht einen Moment lang zu relativieren. Und auch sonst nimmt die Barock-Queen vor ihrem Berliner „Love“- Abend mit dem Barockensemble La magnifica Comunità kein Blatt vor den Mund.

Kassandra-Rufe hat es in der Geschichte der Oper immer wieder gegeben – und doch lebt die Kunstform bis heute.

Simone Kermes: Wer aber geht denn heute noch in die Oper? Junge Leute finden Sie dort nicht, die schauen sich nicht solche langweiligen Inszenierungen an und von daher ist doch die Frage: Wird es die Oper in 20 Jahren noch geben, wenn das so weitergeht?

Die junge Generation nutzt die Zeit zwischen 20 und 40 eben zur Berufsfindung und Familiengründung – danach hat sie wieder Zeit und auch das nötige Geld.

Aber wenn sie vorher nie mit der Oper positiv konfrontiert worden sind, kommen sie auch dann nicht, sondern gehen lieber ins Kino oder zum Rammstein-Konzert, ins Musical oder in den Cirque du Soleil: Das sind Attraktionen – aber nicht die Oper und die klassische Musik. Dort wird es irgendwann kein Publikum mehr geben.

Sorgen Sie sich auch ums klassische Konzert?

Konzerte verkaufen sich schon noch über CD-Aufnahmen. Deshalb ist es auch wichtig, im CD-Markt vertreten zu sein, um davon für die eigenen Liveauftritte zu profitieren – CDs werden im Grunde für die Konzerte gemacht. Das war vor 20 Jahren noch nicht so, da gab es auch nicht diese Inszenierung von Konzerten als Event.

Besteht nicht die Gefahr, dass man als Künstler dabei die Klassik verrät?

Mir geht es da nicht um Crossover – man muss das schon auf hohem Niveau machen. Mein jüngstes Programm „Love“ etwa ist voll durchchoreografiert: Es gibt ein kleines Orchester ohne Dirigenten, während zwei Tänzer und ich die Story erzählen – von vorn bis hinten mit Spannungsbogen. Es gibt Kostüme und Perücken, aber es ist kein Zirkus. Wenn die Musik gut ist, kann dies ein neuer Weg fürs Konzert sein.

Also Klassik als große Show?

Bei mir in Berlin gibt es einen sehr guten Koch, der passend zu den Bildern, die er ausstellt, Koch-Events veranstaltet – mit dem habe ich auch schon mal über meine Ideen gesprochen. Das wäre eine wunderbare Kombination, auch wenn ich nicht weiß, ob es durchsetz- und finanzierbar ist und die Leute offen für so etwas sind: So wie früher im alten Griechenland, wo man in den Tempeln alles in vollen Zügen genossen hat – essen, trinken, Liebe und zwischendurch die Kunst. So etwas neu aufzulegen, das wäre doch mal was.

Aber geben Sie damit nicht dem Verlangen des Publikums nach, sich bloß nicht mehr auf eine Sache konzentrieren zu müssen?

Die Musik wird in dem Moment dennoch zu etwas Besonderem – nur muss sie eben so gut sein, dass die Menschen zuhören und nicht essen. Als ich in Frankreich mit meinem Belcanto-Programm war, schlug ich vor, man könne das doch gut damit kombinieren, was Rossini damals gegessen hat, dazu vielleicht noch ein Parfüm, das nach Rotkraut oder Schweinebraten duftet. Das wär doch was, oder? Die Franzosen waren hellauf begeistert, die lieben dieses Kulturleben mit Essen und Trinken.

So wie Sie Ihre Kostüme?

Ja, als Vivica Genaux und ich unsere „Rival Queens“-Tour gemacht haben, waren wir beide mit zwei Koffern unterwegs – und niemand hat das Gepäck für uns getragen. Weshalb wir dann selbst ein wenig geunkt haben: Schöne Diven sind das – wenn die verreisen, müssen sie alles allein schleppen. Klar muss ich mich bei all diesem Aufwand immer fragen: Kannst Du das auch im Flugzeug transportieren? Da habe ich manchmal schon Probleme auf dem Flughafen. Einmal wollten sie mich mit meinem riesengroßen Koffer nicht mitnehmen – also habe ich mir das barocke Kostüm auf dem Flughafen angezogen und bin damit durch die Sicherheitskontrolle gegangen.

Mit wie vielen Koffern reisen Sie denn in der Regel?

Beim letzten Programm brauchte ich allein für die Riesenperücke einen Koffer, zwei weitere für die Kostüme und die Schuhe von den Tänzern und mir. Dann habe ich noch meine Schmink- und Frisier-Utensilien – in der Rockmusik haben sie dafür Trucks und Busse, die gibt es für uns Klassikkünstler leider nicht. Aber ich lege eben großen Wert darauf, das passende Kleid zur Musik zu tragen. Wenn ich Bach singe, geht ein Glitzerkostüm einfach nicht.

Wen sehen wir denn in diesen vielen verschiedenen Kleidern – ist das Simone Kermes oder doch eher eine Kunstfigur?

Wenn ich das „Love“-Programm betrachte, dann ist das schon eine Figur. Sicher bin ich das auch, weil die Musik sehr intim ist und es schon meine Erfahrungen und Gefühle sind, die ich zum Ausdruck bringe. Aber natürlich würde ich im Leben nie mit einer Perücke herumlaufen.

Und wie ist das sonst bei einem Konzert?

Im Liederabend ist das wieder anders, da ist das tiefer – und all diese Musik, die ruhig, langsam und tief ist, das bin vielleicht mehr ich. Natürlich ist es auch in so einem Konzert wichtig, die Leute zu unterhalten, aber am Ende möchte ich doch eine Tiefe erleben. Ich habe einfach diese ganzen Oberflächlichkeiten satt. Denn trotzdem ich diese Kleider anziehe und eine gewisse Show mache, verstelle ich mich doch nicht – und vielleicht ist es das, was rüberkommt und was die Leute merken.

Das klingt, als ob sich Kunst und Leben eigentlich nicht trennen ließen?

Es gibt viele Schmarotzer um einen herum – manchmal ist es schwierig, dies zu erkennen. Zumal man ja durchaus authentisch sein möchte, ohne indes zu viel zu leiden – obwohl man gelegentlich natürlich auch leiden muss: Dann bist du nämlich wiederum super auf der Bühne. Insofern ist die Oper am Ende vielleicht doch gar nicht so viel anders als das wirkliche Leben.

Konzerthaus am Gendarmenmarkt:
27. Februar, 20 Uhr Kartentel. 20 30 92 101

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